COVID-19: Pflichten des Verwaltungsrats | Pestalozzi Attorneys at Law

COVID-19: Pflichten des Verwaltungsrats

19.03.2020

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Die Massnahmen zur Eindämmung von COVID-19 stellen für Unternehmen eine Herausforderung dar. Das betrifft auch die Verwaltungsräte. Beinahe wöchentlich ändert sich die Rechtslage und Verwaltungsratsmitglieder müssen fortlaufend evaluieren, ob die getroffenen Massnahmen im Lichte persönlicher Sorgfaltspflichten und der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft noch angemessen sind.

Am 16. März 2020 rief der Bundesrat die "ausserordentliche Lage" gemäss Epidemiengesetz aus und beschloss zum Schutz der Bevölkerung eine Reihe umfangreicher Massnahmen, die das öffentliche Leben stark beeinträchtigen ("COVID-19-Verordnung 2").

Die neuen Massnahmen traten am 17. März 2020 in Kraft. Sie umfassen unter anderem ein Verbot öffentlicher und privater Veranstaltungen und die vorübergehende Schliessung verschiedener Betriebe, wie beispielsweise Restaurants, Bars, Konzert- und Theaterhäuser oder Sportzentren.

Diese Massnahmen bedeuten erhebliche Einschränkungen für Einzelpersonen und können schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für Unternehmen haben. Vor diesem Hintergrund müssen Verwaltungsräte in schweizerischen Aktiengesellschaften verschiedene praktische und rechtliche Aspekte berücksichtigen.

Die Umsetzung der neuen Massnahmen zwingt Verwaltungsräte, aktiv zu werden – Untätigkeit kann zu persönlicher Haftung führen.

Grundsätzlich führt in der Aktiengesellschaft der Verwaltungsrat die Geschäfte der Gesellschaft, darf aber die Geschäftsführung an Dritte (z.B. eine Geschäftsleitung) oder andere Verwaltungsratsmitglieder delegieren. Im Rahmen dieser Delegation kann die Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats entsprechend reduziert werden.

Das Gesetz sieht aber einige unübertragbare und unentziehbare Aufgaben des Verwaltungsrats, die nicht delegiert werden können. Diese Aufgaben müssen zwingend durch jedes Verwaltungsratsmitglied selber wahrgenommen werden. Dazu gehören insbesondere:

  • Die Oberleitung der Gesellschaft und die Erteilung der nötigen Weisungen zur Festlegung und zur (krisenbedingten) Anpassung der Unternehmensstrategie;
  • die Festlegung und Überwachung der Organisation der Gesellschaft, d.h. das Beschliessen, Umsetzen und (krisenbedingte) Anpassen der Unternehmensführung, der Risikoanalyse und des Risikomanagements sowie des internen Kontrollsystems (jeweils mit Blick auf das konkrete Unternehmen);
  • die Ausgestaltung und Überwachung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und -planung sowie die Überwachung der Liquidität;
  • die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, insbesondere im Hinblick auf Unternehmensstrategie, Einhaltung von Gesetzen, Statuten, Reglementen und Weisungen, sodass ein (mit Blick auf das konkrete Unternehmen) angemessener und rechtzeitiger Informationsfluss sichergestellt ist und der Verwaltungsrat korrigierend eingreifen und Massnahmen anordnen kann;
  • die Erstellung des Geschäftsberichts und der Jahresrechnung sowie, bei Gesellschaften mit ordentlicher Revision, einer Geldflussrechnung und eines Lageberichts, der über die Risikoanalyse, ausserordentliche Ereignisse und über Zukunftsaussichten informiert;
  • die Vorbereitung der Generalversammlung und die Ausführung ihrer Beschlüsse; und
  • die Benachrichtigung des Richters im Falle der Überschuldung.

Diese Aufgaben können nicht mit haftungsreduzierender Wirkung delegiert werden. Sie müssen von jedem Verwaltungsratsmitglied persönlich und mit der gebotenen Sorgfalt im Interesse der Gesellschaft wahrgenommen werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats für Pflichtverletzungen persönlich haften.

Für Verwaltungsratsmitglieder bedeutet dies:

Die Massnahmen zur Eindämmung von COVID-19 dürften in fast allen Gesellschaften einen erheblichen Einfluss auf die unübertragbaren Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Verwaltungsräten haben. Im Interesse der Gesellschaft, der Mitarbeiter und anderer Stakeholder – aber auch zur Vermeidung persönlicher Haftungsrisiken – sollte der Verwaltungsrat die folgenden Punkte proaktiv angehen und seine Handlungen ausreichend protokollieren:

  • fortlaufende Analyse der gegenwärtigen Krisensituation,
  • Überprüfung (und gegebenenfalls Anpassung) der Strategie,
  • Oberleitung der Gesellschaft und angemessene Instruktion und Kontrolle der Geschäftsleitung bezüglich der Führung des Tagesgeschäfts in der Krisensituation,
  • Sicherstellung des Wohlergehens der Mitarbeitenden und des Managements und Sicherung der Weiterführung des Betriebs,
  • Erteilen der nötigen Weisungen zur Einhaltung von Vorschriften, insbesondere der behördlichen COVID-19-Massnahmen, und die Sicherstellung der Umsetzung gebotener Massnahmen, und
  • laufende Finanzkontrolle und -planung sowie Überwachung und Sicherstellung des Liquiditätsbedarfs. 

Sitzungen des Verwaltungsrats: Notwendigkeit von Führung in Krisenzeiten und "Social Distancing"

Die Herausforderungen im Zusammenhang mit COVID-19 lassen kaum ein Unternehmen unberührt. Der Verwaltungsrat ist verpflichtet, mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft abzuschätzen und in die Traktanden der nächsten Verwaltungsratssitzung aufzunehmen. Unter Umständen ist die Einberufung einer ausserordentlichen Sitzung angebracht.

Wesentliche Themen müssen kommuniziert, analysiert, diskutiert und angegangen werden. Das gilt sowohl für den Verwaltungsrat als auch für die Geschäftsleitung. Hierzu ist ein intensiver Austausch erforderlich. Möglicherweise kann aber eine Vielzahl wichtiger Personen aufgrund von Einreiseverboten oder dem Gebot, zu Hause zu bleiben, nicht physisch an der Verwaltungsratssitzung teilnehmen.

Trotz dieser Hindernisse erfordert die Sorgfaltspflicht des Verwaltungsrats weiterhin die Einberufung von Verwaltungsratssitzungen, damit die erforderlichen Massnahmen beschlossen werden können. Nach schweizerischem Recht ist es zulässig, Verwaltungsratssitzungen auch telefonisch, elektronisch (beispielsweise per Videokonferenz) oder mittels schriftlichem Zirkularbeschluss durchzuführen, vorausgesetzt die Statuten oder das Organisationsreglement sehen nichts Anderes vor.

Damit der Verwaltungsrat die Einhaltung seiner Sorgfaltspflicht nachweisen kann, sollten Protokolle erstellt werden, welche die sorgfältige Lagebeurteilung und Beschlussfassung belegen, gerade auch bei Sitzungen per Telefon- oder Videokonferenz. Eine Führung der Gesellschaft durch schriftliche Zirkularbeschlüsse alleine, die in der Regel nur sehr kurz abgefasst sind, dürften angesichts der Herausforderungen und Komplexität der aktuellen Situation kaum ausreichen. Um den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht zu genügen, ist eine Diskussion auf genügender Informationsbasis zu führen. Wird an der Sitzung kein Beschluss gefasst, so kann die Beschlussfassung (aber nicht die vorgängige Diskussion zwischen den Verwaltungsräten und der Geschäftsleitung) auf schriftlichem Weg in Form eines Zirkularbeschlusses erfolgen.

Erfassung und Beurteilung von Risiken

Der Verwaltungsrat ist verantwortlich für das Vorhandensein eines adäquaten Risikomanagement und ein angemessenen internes Kontrollsystem, wobei das tägliche Risikomanagement an die Geschäftsleitung delegiert werden darf. Eine umfassende Risikoanalyse ist eine grundlegende Voraussetzung dafür.

Üblicherweise werden Risiken (halb-)jährlich bewertet. Die beispiellose und dynamische Lage im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie erfordert jedoch von den meisten Gesellschaften eine sofortige und laufende Neubeurteilung von Risiken und Prozessen.

In ähnlicher Weise muss der Verwaltungsrat (fast laufend) beurteilen, ob Notfallpläne und Informationsflüsse innerhalb des Unternehmens noch angemessen sind, sodass die relevanten und aktuellen Informationen über alle betroffenen Bereiche gesammelt werden können. Dies gilt beispielsweise für die Bereiche Gesundheit und Sicherheit von Mitarbeitern und Kunden, das Personalwesen, IT, Cybersicherheit, Liquidität, Kreditfähigkeit, Auftragslage, Lieferketten und allfällige Leistungsprobleme im Zusammenhang mit wichtigen Verträgen. Identifizierte Mängel im Zusammenhang mit dem Informationsfluss sollten unverzüglich behoben werden.

Bereitschaft und Handlungsfähigkeit

Der Verwaltungsratspräsident und/oder dessen Sekretär sollten dafür sorgen, dass die Kalender- und Kontaktinformationen aller Verwaltungsratsmitglieder immer auf dem neuesten Stand sind, damit auch kurzfristig ausserordentliche Telefon- oder Videokonferenzen (mit ausreichendem Quorum) einberufen werden können.

Der Rhythmus der (ordentlichen) Sitzungen sollte im Hinblick auf die gegenwärtige Lage erhöht werden. Es ist empfehlenswert, bereits im Voraus regelmässige Telefongespräche zu vereinbaren. Ausserdem sollte der Verwaltungsrat die erforderlichen Quoren und die Zusammensetzung wichtiger Ausschüsse (wie beispielsweise des Prüfungs- und Risikoausschusses) überprüfen und falls nötig Vorkehrungen treffen.

Um seine gesetzlichen Aufgaben erfüllen zu können, ist der Verwaltungsrat auf Informationen der Geschäftsleitung angewiesen. Letztere wird aber bereits mit der Bewältigung operativer Aufgaben absorbiert sein. Es obliegt dem Verwaltungsrat im Rahmen einer Priorisierung zu beurteilen, ob detaillierte schriftliche Berichte der Geschäftsleitung zwingend erforderlich sind oder ob die Geschäftsleitung die vorhandene Zeit direkt für die Bewältigung aktueller operativer Herausforderungen einsetzen soll. Entscheidend ist, dass der Verwaltungsrat eine Vorgehensweise wählt, die eine rasche und unkomplizierte Informationsbeschaffung gewährleistet, ohne die Geschäftsleitung unnötig zu belasten.

Gewisse Aufgaben können auch von Ausschüssen des Verwaltungsrats wahrgenommen werden. In der gegenwärtigen Situation ist aufgrund der hohen Dringlichkeit und Arbeitsbelastung zu erwarten, dass diese Ausschüsse auf die Hilfe der anderen Verwaltungsratsmitglieder oder externer Berater angewiesen sind. So übernimmt zum Beispiel das Audit Committee häufig auch die Verantwortung für die Risikokontrolle. Dieses kann aber bereits mit dringlichen Aufgaben wie der Finanzkontrolle und der Liquiditätsüberwachung ausgelastet sein.

Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass hinsichtlich der unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrats jedes Mitglied persönlich verantwortlich bleibt, selbst wenn die Aufgaben von Ausschüssen übernommen werden. Jedes Verwaltungsratsmitglied muss informiert bleiben, um seine Verantwortung wahrnehmen zu können.

Der Verwaltungsrat kann beispielsweise Sonderausschüsse und spezielle Arbeitsgruppen auf der Führungsebene einrichten, deren Aufgabe es ist, die beinahe täglich neuen Regeln zu erfassen. Letztlich bleibt aber der Verwaltungsrat für die Einhaltung der Gesetze, einschliesslich neuer behördlicher Anordnungen wie der COVID-19-Verordnung 2, verantwortlich. Lesen Sie beispielsweise unser Update zu den Pflichten des Arbeitgebers gegenüber besonders gefährdeten Arbeitnehmern (siehe unser Legal Update hier).

Je nach Branche muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass die Gesellschaft den Betrieb einstellt, keine öffentlichen oder privaten Veranstaltungen durchführt und die Regeln betreffend Social Distancing einhält. Die strengen Massnahmen der COVID-19-Verordnung 2 sind voraussichtlich bis zum 19. April 2020 in Kraft. Eine vorsätzliche Nichteinhaltung dieser Bestimmungen kann strafrechtliche Konsequenzen haben.

Jährliche Generalversammlung

Falls das Geschäftsjahr einer Gesellschaft am 31. Dezember 2019 endet, muss die ordentliche Generalversammlung bis spätestens dem 30. Juni 2020 stattfinden, und insbesondere sollte dabei die Jahresrechnung 2019 genehmigt werden. Durch die derzeitige Einschränkung des öffentlichen Lebens verzögern sich die Arbeiten zur Erstellung und Prüfung der Jahresrechnung möglicherweise. Der Verwaltungsrat muss Verzögerungen aktiv verfolgen und falls nötig geeignete Massnahmen zur Beschleunigung des Prozesses ergreifen. Für eine Vielzahl von Gesellschaften, insbesondere jene mit einer ordentlichen Revision, können die behördlichen Massnahmen zur Eindämmung von COVID-19 bereits einen Einfluss auf die Jahresrechnung 2019, beispielsweise im Anhang oder im Rahmen von Zukunftsprognosen im Lagebericht.

Das Verbot öffentlicher und privater Versammlungen in der Schweiz gilt grundsätzlich auch für ordentliche Generalversammlungen. Der Bundesrat hat aber eine rechtliche Grundlage geschaffen, damit Gesellschafterversammlungen (wie Generalversammlungen in der AG) weiter möglich bleiben (siehe unser Legal Update vom 18. März 2020). Im Wesentlichen erlaubt die COVID-19-Verordnung 2 vorübergehend eine weitgehend "virtuelle" Versammlung, d.h. die Aktionäre müssen nicht physisch anwesend sein. Ebenfalls zulässig, und in den meisten Fällen wohl am einfachsten umsetzbar, ist folgende Vorgehensweise: Physisch anwesend sind nur der Vorsitzende (meist der Verwaltungsratspräsident oder sein Stellvertreter), der Sekretär, ein unabhängiger Vertreter sowie ggf. soweit notwendig ein Vertreter der Revisionsstelle oder ein Notar. Die Aktionäre erhalten sämtliche Informationen auf elektronischem Wege und können dann dem unabhängigen Vertreter schriftlich oder elektronisch Anweisungen geben.

Finanzielle Verantwortlichkeit

Angesichts der Sorgfaltspflicht und der potentiellen Haftungsrisiken ist die Überwachung der Finanzlage der Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Stark vereinfacht gilt:

In Krisenzeiten ist die Finanzplanung und Überwachung der Liquidität besonders wichtig, damit die Gesellschaft zahlungsfähig bleibt. Hat der Verwaltungsrat zudem eine begründete Besorgnis einer Überschuldung, d.h. dass das Fremdkapital die Aktiven übersteigen könnte, so muss er eine Zwischenbilanz erstellen und prüfen lassen. Liegt sowohl zu Fortführungswerten als auch zu Liquidationswerten eine Überschuldung vor, muss der Verwaltungsrat den Richter benachrichtigen, welcher daraufhin möglicherweise den Konkurs über die Gesellschaft eröffnet. Der Richter kann von der Konkurseröffnung absehen, falls Aussicht auf Sanierung besteht.

Sollte ein Mitglied des Verwaltungsrates die Pflicht zur Benachrichtigung des Richters verletzen, besteht die Gefahr, dass durch die verzögerte Konkurseröffnung (Konkursverschleppung) Schäden entstehen. Dies führt möglicherweise zu einer persönlichen Haftung der Verwaltungsratsmitglieder. Die Benachrichtigung des Richters kann beispielsweise vermieden werden, wenn Gesellschaftsgläubiger (möglicherweise auch ein Aktionär im Rahmen eines Aktionärsdarlehens) im Ausmass der Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten.

Autoren: Beat Schwarz (Partner), Franz Schubiger (Partner), Raphael Widmer (Associate), Roger Felder (Junior Associate)

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Keine Rechts- oder Steuerberatung

Dieses Legal Update gibt einen allgemeinen Überblick über die Rechtslage in der Schweiz und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es stellt keine Rechts- oder Steuerberatung dar. Falls Sie Fragen zu diesem Legal Update haben oder Rechtsberatung hinsichtlich Ihrer Situation benötigen, wenden Sie sich bitte an Ihren Ansprechpartner bei Pestalozzi Rechtsanwälte AG oder an eine der in diesem Legal Update erwähnten Kontaktpersonen.

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