Verabschiedung des zehnten Sanktionspakets in der Schweiz | Pestalozzi Attorneys at Law

Verabschiedung des zehnten Sanktionspakets in der Schweiz

06.04.2023

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Key Takeaways

  • Nach der EU hat auch der Bundesrat ein zehntes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen, welches am 29. März 2023 in Kraft getreten ist.
  • Das neue Sanktionspaket enthält einerseits erweiterte Meldepflichten im Finanzbereich und Verschärfungen im Güterbereich.
  • Andererseits ermöglicht eine Anpassung der Ukraine Verordnung die Erbringung bestimmter Dienstleistungen für russische Unternehmen und Organisationen im Rahmen einer Ausnahme für humanitäre Zwecke.
  • Ferner sieht die Ukraine Verordnung neu eine Ausnahmebewilligung der SECO für die Bereitstellung bestimmter Gelder oder wirtschaftlicher Ressourcen an sanktionierte Personen vor, um unbeabsichtigte nachteilige Folgen für Schweizer Unternehmen zu vermeiden.

Einleitung

Am 29. März 2023 hat der Bundesrat weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen und die Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine ("Ukraine Verordnung") entsprechend ergänzt. Damit folgt die Schweiz der Europäischen Union (EU), die im Februar 2023 eine zehnte Runde von Sanktionen beschlossen hatte. Das jüngste Schweizer Sanktionspaket sieht einige Verschärfungen vor, enthält aber auch bestimmte Ausnahmen und Massnahmen zur Abfederung unbeabsichtigter wirtschaftlicher Folgen für Schweizer Unternehmen.

Kernpunkte des neuen Sanktionspakets

Das neue Sanktionspaket beinhaltet folgende Kategorien von Massnahmen:

  • Erweiterung der Meldepflichten im Finanzbereich;
  • Anpassung der Güterlisten und Verschärfung bestehender Restriktionen;
  • Die Ausnahme von humanitären Aktivitäten vom Verbot der Erbringung von bestimmten Dienstleistungen an russische Unternehmen und Organisationen, und
  • Eine neue Bewilligungsmöglichkeit zur Abfederung unbeabsichtigter negativer wirtschaftlicher Folgen der Schweizer Sanktionen für Schweizer Unternehmen.

Meldepflichten im Finanzbereich

Bislang bestehen im Finanzbereich bereits Meldepflichten betreffend die Sperrung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen (Art. 16 Ukraine Verordnung) sowie die Meldepflicht für bestehende Einlagen (Art. 21 Ukraine Verordnung), welche alle zwölf Monate zu aktualisieren ist. Während die Meldepflicht für bestehende Einlagen unverändert bleibt, wurden die Meldepflichten betreffend die Sperrung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen erweitert.

Neu umfasst die Meldepflicht gemäss Art. 16 Ukraine Verordnung nicht nur Angaben zur Art und zum Wert der betreffenden (gesperrten) Vermögenswerte. Zusätzlich müssen dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unverzüglich nach auch sämtliche Transaktionen der zwei Wochen vor der Aufnahme sanktionierter Personen, Unternehmen oder Organisationen in die Schweizer Sanktionslisten gemeldet werden.

Verschärfungen im Güterbereich

Im Güterbereich enthält das neue Sanktionspaket weitere Verbote und Beschränkungen sowie Erweiterungen und Anpassungen der Güterlisten (Anhänge zur Ukraine Verordnung). Insbesondere wird neu die Durchfuhr durch die Russische Föderation für Güter mit doppeltem Verwendungszweck (sog. Dual-Use-Güter, d.h. Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können) sowie Rüstungsgüter verboten. Ferner werden die Güterlisten betreffend Güter zur militärischen und technologischen Stärkung oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors (Anhang 1 der Ukraine Verordnung) sowie Güter zur Stärkung der Industrie (Anhang 23 der Ukraine Verordnung) modifiziert. Darüber hinaus werden im neuen Sanktionspaket weitere Güter als wirtschaftlich bedeutend definiert und in Anhang 20 der Ukraine Verordnung aufgenommen.

Ausnahme für humanitäre Aktivitäten

Die Ukraine Verordnung sieht den Verbot der Erbringung einer Reihe von Dienstleistungen für die Regierung der Russischen Föderation oder in der Russischen Föderation niedergelassene juristische Personen, Unternehmen oder Organisationen vor, darunter Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Unternehmensberatung, Architektur, Rechtsberatung, IT-Beratung, Markt- und Meinungsforschung usw. (vgl. Art. 28e Ukraine Verordnung).

Im Rahmen des neuen Sanktionspakets hat der Bundesrat beschlossen, eine Ausnahmeregelung für die Erbringung der Dienstleistungen gem. Art. 28e Ukraine Verordnung im Rahmen humanitärer Aktivitäten aufzunehmen. Der Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung ist jedoch insofern begrenzt, als dass sie nur anwendbar ist, sofern die Aktivitäten durch öffentliche Stellen oder durch Unternehmen und Organisationen, die für die Durchführung humanitärer Aktivitäten Beiträge des Bundes erhalten, durchgeführt werden.

Ausnahmebewilligung zur Wahrung der Interessen der Schweiz

Das neue Sanktionspaket baut auf die bisherigen Bestrebungen des Bundesrates auf, allfällige unbeabsichtigte wirtschaftliche Folgen der Schweizer Sanktionen für Schweizer Unternehmen abzufedern. Hierzu führt der Bundesrat die Möglichkeit ein, einzelfallweise Bewilligungen für die Freigabe bestimmter gesperrter Gelder oder wirtschaftlicher Ressourcen oder die Bereitstellung bestimmter Gelder oder wirtschaftlicher Ressourcen an sanktionierte Personen zu erteilen, um Schweizer Interessen zu schützen.

Hintergrund dieser Massnahme sind die Fälle Sulzer AG sowie medmix AG, zwei Schweizer Unternehmen aus dem High-Tech-Sektor. Sowohl die Sulzer AG als auch die medmix AG werden mehrheitlich von einer Schweizer Holdinggesellschaft, der Tiwel Holding AG, gehalten, die mit Viktor Vekselberg in Verbindung steht. Die Tiwel Holding AG hat einen Darlehensvertrag mit zwei russischen Banken abgeschlossen und ihre Aktien an den beiden Gesellschaften als Sicherheiten hinterlegt.

Im Zuge der US-Sanktionen gegen Viktor Vekselberg sowie aufgrund der Schweizer Sanktionen gegen die beiden russischen Banken war es der Tiwel Holding AG aus rechtlicher Sicht nicht mehr möglich, ihr Darlehen zu bedienen. Ohne die neue Ausnahmeregelung wären die zwei Schweizer High-Tech-Unternehmen möglicherweise unter die Kontrolle sanktionierter russischer Banken geraten.

In diesem Fall hätten also die sanktionierten Banken letztlich von den gegen sie verhängten Sanktionen profitiert – ein Ergebnis, das in krassem Widerspruch zum Sinn und Zweck der Sanktionen steht.

Verbot betreffend die Einflussnahme in kritischen Infrastrukturen per 27. April 2023

Per 27. April 2023 wird eine neue Bestimmung in Kraft treten, wonach es verboten ist, russischen Staatsangehörigen und in der Russischen Föderation ansässigen natürlichen Personen zu ermöglichen, eine Funktion in den Leitungsgremien der Eigentümer oder Betreiber von kritischen Infrastrukturen auszuüben. Eine Ausnahme von dieser Bestimmung ist für Schweizer Staatsangehörige (inkl. Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit), Staatsangehörige eines EWR-Mitgliedstaats oder Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs vorgesehen.

Im aktuellen Entwurf der Bestimmung lässt sich vorerst keine Definition für "kritische Infrastrukturen" finden. Es ist denkbar, dass eine entsprechende Definition vor Inkrafttreten der neuen Bestimmung beschlossen und in die Ukraine Verordnung aufgenommen wird. Ebenfalls denkbar wären Erläuterungen zum Begriff im Rahmen der vom SECO zur Verfügung gestellten Auslegungshilfen (vgl. SECO F&Q). Die Auslegungshilfen wurden zuletzt per 9. Februar 2023 aktualisiert.

Nächste Schritte

Mit dem neuen Sanktionspaket folgt der Bundesrat dem von der EU eingeschlagenen Weg, indem er vermeidet, dass wesentliche Unterschiede zwischen dem EU- und den schweizerischen Regelwerken entstehen. Der Bundesrat bekräftigt jedoch, dass er anerkennt, dass die Sanktionen unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen zeitigen können, indem er nun flexible Abhilfe schafft, um ebensolche Folgen zu vermeiden oder abzumildern.

Angesichts der sich noch immer weiterentwickelnden geopolitischen Lage sind weitere Sanktionspakete nicht auszuschliessen. Derzeit sind aus einigen EU-Mitgliedstaaten Forderungen nach einem elften Sanktionspaket laut geworden. Noch sind jedoch sowohl der Zeitplan als auch der Inhalt solcher weiterer Sanktionen unklar.

Autoren: Niku Gholamalizadeh (Associate) und Samir Ainouz (Junior Associate)

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