BGer 8C_176/2022 vom 21.09.2022: Aufhebungsvereinbarung mit Arbeitnehmenden
Eine Bedenkfrist von zwei Tagen kann ausreichend sein; Arbeitnehmende können allenfalls gar auf diese Bedenkfrist verzichten
Um was ging es?
A war seit dem 1. September 2014 bei der Zentralen Ausgleichskasse ("ZAK") als System- und Netzwerkadministrator angestellt. Seine Kündigungsfrist betrug drei Monate, jeweils auf das Ende eines Monats.
Am 25. November 2020 ging der Abteilungsleiter auf A zu und bat ihn in ein Sitzungszimmer, wo der direkte Vorgesetzte von A und zwei Mitarbeitende des HR auf A warteten. Der direkte Vorgesetzte und der Abteilungsleiter erklärten A, dass die Zusammenarbeit mit ihm sehr schwierig geworden sei. Die ZAK bot A sodann eine Aufhebungsvereinbarung an, mit der das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet werden würde. Gleichzeitig überreichten die Anwesenden A ein Schreiben, in dem die ZAK den Sachverhalt und die Defizite von A schilderte und ihm eine Frist von zwei Tagen, d.h. bis am 27. November 2020, einräumte, um die angebotene Vereinbarung zu prüfen und ein unterzeichnetes Exemplar zu retournieren.
Anlässlich des Gesprächs bat A um einige Präzisierungen betreffend seine Unzulänglichkeiten. Dann las er die Vereinbarung noch einmal durch und verlangte, dass die ZAK seinen Lohn bis Juni 2021 zahlen solle. Eines der HR-Mitglieder erklärte, dass das Angebot bereits eine zusätzliche Zahlung in der Höhe eines Monatslohns enthalte, dass die ZAK aber bereit sei, A einen weiteren Monatslohn zu zahlen. A nahm das Angebot an. Er bat einen der Anwesenden um einen Stift und unterzeichnete die Vereinbarung.
Gemäss der unterzeichneten Aufhebungsvereinbarung würde das Arbeitsverhältnis per 30. April 2021 enden. Die ZAK würde A bis zu diesem Zeitpunkt Lohn bezahlen, ihn aber mit sofortiger Wirkung freistellen. Zudem müsste die ZAK per 30. April 2021 ein Arbeitszeugnis ausstellen und hätte A schliesslich Outplacementdienstleistungen für sechs Monate oder maximal CHF 10'000 bezahlt.
A machte später geltend, die Aufhebungsvereinbarung sei ungültig, unter anderem weil die ZAK ihm keine ausreichende Bedenkzeit eingeräumt habe, wie es die Rechtsprechung des Bundesgerichts verlange.
Wie hat das Bundesgericht entschieden?
Das Bundesgericht wies die Beschwerde und die Einwände von A ab. Die ZAK gewährte A eine Bedenkfrist von zwei Tagen. Dies ergab sich aus dem Schreiben, welches ihm anlässlich des Gesprächs vom 25. November 2020 übergeben wurde. Zudem verhandelten die ZAK und A über die Aufhebungsvereinbarung, was zu einigen Änderungen zugunsten von A führte. Das Bundesgericht entschied daher, dass die ZAK die erforderliche Bedenkzeit gewährt hatte und dass die Aufhebungsvereinbarung gültig und verbindlich ist.
Wieso ist dieser Fall wichtig?
Das Arbeitsverhältnis zwischen der ZAK und A unterstand dem schweizerischen öffentlichen Arbeitsrecht. Allerdings finden die entsprechenden Grundsätze für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse gemäss Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung dennoch Anwendung. Der Entscheid ist somit auch wichtig für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse unter dem Schweizerischen Obligationenrecht.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Aufhebungsvereinbarung ungültig und unwirksam, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmenden vor Abschluss der Vereinbarung keine angemessene Bedenkzeit einräumte. Die Mindestdauer dieser Bedenkfrist ist in der Praxis mangels allgemein gültigen Richtlinien nicht abschliessend geklärt. Zudem ist unklar, ob Arbeitnehmende auf die Bedenkfrist freiwillig verzichten können.
Im vorliegenden Fall bezeichnete das Schweizerische Bundesgericht eine Bedenkzeit von zwei Tagen als ausreichend. Noch entscheidender ist jedoch, dass das Gericht die Unterzeichnung der Vereinbarung am gleichen Tag akzeptierte und somit anerkannte, dass A effektiv auf die von der Arbeitgeberin angebotene Bedenkzeit wirksam verzichtete. Dies stellt die formalen Pflichten der Arbeitgeberin bei Angebot einer Aufhebungsvereinbarung in ein neues Licht.
Natürlich ist die Angemessenheit und Einhaltung der Bedenkzeit dennoch von Fall zu Fall zu prüfen. Vorliegend verhandelten die ZAK und A noch über den Inhalt der Vereinbarung; zudem führten diese Verhandlungen zu zusätzlichen Zugeständnissen der ZAK gegenüber A. Diese beiden Besonderheiten des Falles dürften die Beurteilung der Angemessenheit der Bedenkzeit zugunsten der Arbeitgeberin beeinflusst haben. In Anbetracht der Tatsache, dass das schweizerische öffentliche Arbeitsrecht arbeitnehmendenfreundlicher ist als das schweizerische privatrechtliche Arbeitsrecht, lässt dieser Fall jedoch hoffen, dass das Bundesgericht auch für pragmatische Lösungen bezüglich Bedenkzeit in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen offen sein könnte.
Autoren: Andreas Lienhard (Partner), Martina Herzog (Associate)
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