Liberalisierung von Medizinalcannabis in der Schweiz – Revision des Betäubungsmittelrechts tritt in Kraft | Pestalozzi Attorneys at Law

Liberalisierung von Medizinalcannabis in der Schweiz – Revision des Betäubungsmittelrechts tritt in Kraft

Am 1. August 2022 tritt die Revision des Betäubungsmittelrechts in Kraft, welche die Liberalisierung von medizinischem Cannabis bezweckt. Im Zentrum der Revision steht einerseits die Aufhebung des gesetzlichen Verkehrsverbots für Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis zu medizinischen Zwecken, welches im Fokus dieses Legal Updates steht, sowie andererseits ein zweistufiges Bewilligungsverfahren für deren Anbau, welches in einem separaten Legal Update beleuchtet wird. Zudem ist für die ärztliche Verschreibung von medizinischem Cannabis künftig keine Ausnahmebewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) mehr erforderlich. Der Verkauf und Konsum von Cannabis für nicht-medizinische Zwecke bleibt dagegen verboten.

Key takeaways

  • Aufhebung des gesetzlichen Verkehrsverbots: Der Anbau, die Herstellung, die Verarbeitung und der Handel von medizinischem Cannabis ist nunmehr dem Bewilligungs- und Kontrollsystem von Swissmedic unterstellt, was der Reglementierung anderer medizinisch verwendeter Betäubungsmittel entspricht.
  • Keine Ausnahmebewilligung: Es besteht für die ärztliche Verschreibung von medizinischem Cannabis kein grundsätzliches Verbot mehr. Für dessen Einsatz im Rahmen einer Behandlung ist die Ärztin oder der Arzt vollumfänglich verantwortlich.
  • Befristetes Informationssystem über ärztliche Behandlungen mit Medizinalcannabis: Die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, dem BAG während der ersten Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision Behandlungen mit Medizinalcannabis zu melden und relevante Daten zu übermitteln.
  • Weiterhin keine Kostenvergütung: Die Behandlung mit Cannabisarzneimittel verbleibt ausserhalb des Leistungskatalogs der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, eine Vergütung durch die Krankenkasse erfolgt nur ausnahmsweise.
  • Rechtliche Trennung von medizinischem und nicht-medizinischem Cannabis: Der Umgang mit Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken ist von diesen Gesetzesänderungen nicht betroffen und bleibt grundsätzlich verboten.

Ausgangslage: Verbot mit Ausnahmebewilligungssystem

Cannabis mit einem THC-Gehalt (Tetrahydrocannabinol) von 1% und mehr gilt in der Schweiz bislang als verbotenes Betäubungsmittel. Es darf daher grundsätzlich weder angebaut, hergestellt, eingeführt noch in Verkehr gebracht werden. Damit war eine medizinische Verwendung von Cannabis im Rahmen des regulären betäubungsmittelrechtlichen Bewilligungs- und Kontrollsystems bisher grundsätzlich ausgeschlossen. Cannabishaltige Zubereitungen, die einen THC-Gehalt von weniger als 1% aufweisen und Zubereitungen, die CBD (Cannabidiol) enthalten, fallen hingegen nicht unter das Betäubungsmittelrecht und sind bereits jetzt erlaubt (und werden in diesem Legal Update nicht weiter betrachtet).

Das geltende Recht erlaubt dem BAG allerdings den Anbau, die Herstellung, die Einfuhr oder das Inverkehrbringen von verbotenen Betäubungsmitteln zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung, der Arzneimittelentwicklung oder der beschränkten medizinischen Anwendung ausnahmsweise zu bewilligen, sofern kein internationales Abkommen entgegensteht (Art. 8 Abs. 5 Betäubungsmittelgesetz, BetmG). Dies bedeutet für die Verwendung von Medizinalcannabis in der bisherigen Praxis Folgendes:

  • Für die Verschreibung zulassungsbefreiter Cannabisarzneimittel nach formula magistralis (d.h. Cannabisarzneimittel, die auf ärztliches Rezept von einer öffentlichen Apotheke oder Spitalapotheke hergestellt werden) bedarf es einer Ausnahmebewilligung des BAG. Aktuell werden die meisten medizinischen Behandlungen mit solchen zulassungsbefreiten Cannabisarzneimitteln durchgeführt.
  • Eine solche Ausnahmebewilligung ist zum jetzigen Zeitpunkt auch für ein zugelassenes Arzneimittel erforderlich, das für eine andere Indikation als diejenige, für die es zugelassen wurde, abgegeben wird oder in einer nicht dafür zugelassenen Darreichungsform angewendet werden soll (sog. off label use).
  • Für den Umgang mit Betäubungsmitteln, die als Arzneimittel zugelassen sind, braucht es im Rahmen der zugelassenen Anwendung hingegen keine Ausnahmebewilligung. So kann das in der Schweiz einzige heilmittelrechtlich zugelassene sowie verwendungsfertige Cannabisarzneimittel Sativex®, welches über einen THC-Gehalt von über 1% verfügt, für die zugelassenen Indikationen ohne Ausnahmebewilligung verschrieben werden; für andere Indikationen ist hingegen eine Ausnahmebewilligung erforderlich (sog. off label use; siehe oben).

Die Herstellung und das Inverkehrbringen von Cannabisarzneimitteln, die einer generellen, von einer Einzelfallprüfung unabhängigen medizinischen Anwendung dienen sollen, waren aufgrund des Ausnahmebewilligungssystems des BAG bisher ausgeschlossen. Das Ausnahmebewilligungsverfahren, das 2011 eingeführt und seither immer häufiger beansprucht wurde, ist zudem aufwendig. Auch angesichts der hohen Bewilligungsquote erschien das System der Ausnahmebewilligung in wichtigen Belangen insgesamt nicht mehr adäquat.

Aufhebung des gesetzlichen Verkehrsverbots mit Inkrafttreten der Revision

Die Gesetzesrevision will dieser Entwicklung Rechnung tragen und beabsichtigt, das Heil- und Palliativpotenzial von Cannabis als Arzneimittel zu erschliessen sowie den Patientinnen und Patienten den Zugang zu medizinischem Cannabis zu vereinfachen. Das Betäubungsmittelrecht wird entsprechend angepasst und Cannabis als kontrolliertes, beschränkt verkehrsfähiges Betäubungsmittel eingestuft. Damit wird der Anbau, die Herstellung, die Verarbeitung und der Handel von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht mehr dem Ausnahmebewilligungssystem des BAG, sondern dem Bewilligungs- und Kontrollsystem von Swissmedic unterstellt sein.

In der Praxis bedeutet dies, dass Cannabis für medizinische Zwecke in der Betäubungsmittelverzeichnisverordnung nicht mehr im Verzeichnis d sondern in Verzeichnis a geführt wird. Dasselbe gilt auch für:

  • Cannabisextrakt, Cannabisharz, Cannabisöl, Cannabistinktur für medizinische Zwecke;
  • Cannabissamen, Cannabisstecklinge zum Anbau für die pharmazeutische Produktion; sowie
  • Dronabinol, (-)-trans-delta-9-Tetrahydrocannabinol, Tetrahydrocannabinol für medizinische Zwecke.

Damit gelten für den Umgang mit Cannabis sowie diesen Cannabiszubereitungen zu medizinischen Zwecken neu die bereits bekannten Kontrollmassnahmen, denen alle Betäubungsmittel im Verzeichnis a (z.B. Morphin, Methadon, Kokain) unterstehen. Diese umfassen insbesondere das Erfordernis einer Betriebsbewilligung (inkl. verantwortliche Person) sowie Meldepflichten.

Kommerzieller Export von Cannabisarzneimitteln

Durch den Wegfall der betäubungsmittelrechtlichen Ausnahmebewilligungen einschliesslich der Einzelfallprüfung für die beschränkte medizinische Anwendung wird grundsätzlich auch der kommerzielle Export von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis zu medizinischen Zwecken grundsätzlich ermöglicht (unter Berücksichtigung der relevanten internationalen Regelungen, insbesondere des Einheits-Übereinkommens von 1961 über die Betäubungsmittel), wobei auch für den Export eine Bewilligung von Swissmedic erforderlich ist.

Verschreibung und Abgabe

Die Behandlung mit Cannabisarzneimitteln liegt nunmehr vollständig in der Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte. Der Wegfall der Ausnahmebewilligung des BAG für die Verschreibung von medizinischem Cannabis erleichtert damit den Zugang zu Cannabisarzneimitteln.

Zur Abgabe sind wiederum öffentliche Apotheken oder Spitalapotheken, die über eine Herstellungsbewilligung für Arzneimittel nach formula magistralis verfügen, berechtigt. Diesen Apotheken obliegen somit zwei verschiedene Aufgaben: Sie sind einerseits Herstellerinnen (bzw. Auftraggeberinnen für die Herstellung) von Cannabisarzneimitteln und andererseits fungieren sie als Abgabestellen für verwendungsfertige Cannabisarzneimittel.

Befristetes Informationssystem

Zur wissenschaftlichen Evaluation der Gesetzesänderung erfolgt eine schweizweite Datenerhebung. Die Cannabisarzneimittel verschreibenden Ärztinnen und Ärzte werden damit verpflichtet, bestimmte Angaben elektronisch zu erfassen (u.a. zu Nebenwirkungen). Die Ergebnisse der statistischen Auswertung dieser Daten stellt das BAG den kantonalen Vollzugsbehörden, der an der Behandlung beteiligten Ärzteschaft sowie interessierten Forschungseinrichtungen zur Verfügung und können somit als Orientierungshilfe und Grundlage für weiterführende Forschung dienen.

Unverändert bleiben Bestimmungen zur nicht-medizinischen Verwendung sowie zur Vergütung

Nicht Gegenstand der Gesetzesrevision ist hingegen der Umgang mit Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis mit einem THC-Gehalt von 1% und mehr zu nicht-medizinischen Zwecken, wodurch das Verkehrsverbot in diesem Zusammenhang bestehen bleibt. Entsprechend bedarf es für den Umgang mit Cannabis u.a. zum Zweck der (nicht-medizinischen) wissenschaftlichen Forschung oder zum Zweck von Bekämpfungsmassnahmen weiterhin einer Ausnahmebewilligung des BAG (gemäss Art. 8 Abs. 5 und 8 BetmG). Nicht unter die medizinische Anwendung fällt zudem die von Patientinnen und Patienten vorgenommene Selbstmedikation mit Cannabis ausserhalb der ärztlichen Behandlung, welche auch künftig verboten bleibt.

Schliesslich hat die Revision keine Änderung hinsichtlich einer Kostenvergütung von Cannabisarzneimitteln zur Folge. Derzeit ist keines der Präparate auf der Spezialitätenliste des BAG für die Vergütung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Da sich die Evidenz zur Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von Cannabisarzneimitteln nach wie vor als ungenügend erweist, werden deren Kosten nicht generell von der OKP übernommen; eine Vergütung von Cannabisarzneimitteln durch die Krankenkasse erfolgt nur ausnahmsweise im Rahmen der Einzelfallvergütungen.

Fazit und Ausblick

Die Aufhebung des Verkehrsverbots für Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis zu medizinischen Zwecken und die damit einhergehenden Änderungen sind zu begrüssen. Die Schweiz orientiert sich damit an diejenigen Länder, welche ein System mit einem erweiterten Zugang zu Cannabisarzneimitteln kennen (z.B. Kanada, Deutschland, Niederlande, Italien).

Aus wirtschaftlicher Sicht und insbesondere aufgrund des künftig erlaubten kommerziellen Exports von Cannabis zu medizinischen Zwecken dürften davon Hersteller von Phytoarzneimitteln, spezialisierte öffentliche Apotheken sowie inländische Anbauer der Rohstoffe profitieren. Zugunsten der Patientinnen und Patienten wird mit dem Wegfall der Ausnahmebewilligung einer Verzögerung des Therapiebeginns entgegengewirkt.

Autorinnen: Sarah Drukarch (Senior Associate), Aline Haas (Junior Associate)

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Keine Rechts- oder Steuerberatung

Dieses Legal Update gibt einen allgemeinen Überblick über die Rechtslage in der Schweiz und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es stellt keine Rechts- oder Steuerberatung dar. Falls Sie Fragen zu diesem Legal Update haben oder Rechtsberatung hinsichtlich Ihrer Situation benötigen, wenden Sie sich bitte an Ihren Ansprechpartner bei Pestalozzi Rechtsanwälte AG oder an eine der in diesem Legal Update erwähnten Kontaktpersonen.

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