Klimaschutz in der Schweiz und in der EU
Key Takeaways
- Sowohl die Schweiz als auch die EU haben sich dem Pariser Abkommen und dessen Hauptziel angeschlossen, die globale Erwärmung einzudämmen. Daher sind die Schweiz und die EU verpflichtet, geeignete Massnahmen zur Realisierung dieses Ziels zu ergreifen. Wenn es jedoch darum geht, ihre national festgelegten Beiträge (NDCs) zu leisten, lassen sich in den gesetzgeberischen Ansätzen der beiden Vertragsparteien einige Unterschiede ausmachen.
- Mit dem sogenannten "Fit for 55-Paket" hat die EU ein umfassendes Top-down-Programm entwickelt, um ihre Gesetzgebung konsequent in Richtung Klimaneutralität zu gestalten. Seither schreitet die EU auf diesem Weg beharrlich fort.
- Die Schweiz ihrerseits verfolgt einen stärker fragmentierten Ansatz. Die Schweiz verlässt sich lieber auf Lenkungssteuern, anstatt auf ausgeklügelte Handelssysteme zu setzen; sie bevorzugt wirtschaftliche Anreize vor Verboten. Am 18. Juni 2023 werden die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Gelegenheit haben, über den nächsten von ihrer Regierung geplanten Schritt zum Klimaschutz zu entscheiden.
Einführung
Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung. Am 12. Dezember 2015 verabschiedeten 196 Länder auf der UN-Klimakonferenz (COP21) in Paris das Pariser Abkommen als rechtsverbindlichen internationalen Vertrag, der als Fortsetzung der 1997 im Rahmen des Kyoto-Protokolls vereinbarten Ziele und Maßnahmen dienen soll. Das Pariser Abkommen trat am 4. November 2016 in Kraft und verfolgt das Hauptziel, die durchschnittliche globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitraum zu begrenzen und einen maximalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius anzustreben. Darüber hinaus zielt das Pariser Abkommen darauf ab, staatliche und private Finanzströme in eine treibhausgasarme Entwicklung zu lenken und die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel zu verbessern. Um auf das Hauptziel des Pariser Abkommens hinzuarbeiten, müssen die Vertragsparteien eigene Instrumente in ihr nationales oder supranationales Recht aufnehmen. Bis heute haben 195 Parteien das Pariser Abkommen unterzeichnet und ratifiziert, darunter die Schweiz, die EU und ihre 27 Mitgliedstaaten sowie das Vereinigte Königreich.
In diesem Legal Update stellen wir die konzeptionellen Ansätze im Schweizer und im EU-Klimarecht vor und geben einen Überblick über die neuesten Entwicklungen in der Schweizer und der EU-Gesetzgebung.
Die EU erhöht das Tempo
Der "Green Deal" als treibende Kraft
Die Vertragsparteien des Pariser Abkommens sind verpflichtet, nationale Klimaaktionspläne (sogenannte "nationally determined contributions" oder "NDCs") zu entwickeln und zu kommunizieren. Außerdem sind sie aufgefordert, langfristige Entwicklungsstrategien mit niedrigen Treibhausgasemissionen zu formulieren und vorzulegen (sogenannte "LT-LEDs", die im Gegensatz zu den NDCs nicht verpflichtend sind). In einem ersten Schritt hat sich die EU verpflichtet, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um mindestens 40% unter das Niveau von 1990 zu senken. Als Ursula von der Leyen 2019 für die Kommissionspräsidentschaft kandidierte, stellte sie ein Konzept mit dem Namen "European Green Deal" vor, das unter anderem das Erreichen von Null-Netto-Emissionen, d. h. Klimaneutralität bis 2050, vorsah. Anschließend entwarf die neue Kommission das sogenannte "Fit-for-55-Paket", das eine Reihe von Vorschlägen zur Überarbeitung, Aktualisierung und Erweiterung der EU-Gesetzgebung enthält, um der EU zu helfen, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Das "Fit for 55-Paket" wurde 2021 offiziell verabschiedet. Eine der Prioritäten des Pakets war die Aktualisierung des europäischen Klimagesetzes, um die neuen Ambitionen widerzuspiegeln.
Aktualisierung des europäischen Klimagesetzes
Das Europäische Klimagesetz ist die Kurzbezeichnung der Verordnung (EU) 2018/1999 vom 11. Dezember 2018 über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz. Diese Verordnung bildet die notwendige rechtliche Grundlage für die Energieunion und Klimamaßnahmen der EU (Governance-Mechanismus), die das Erreichen der langfristigen Ziele und Vorgaben im Einklang mit dem Pariser Abkommen sicherstellen soll. Die Energieunion umfasst die fünf Dimensionen Sicherheit der Energieversorgung, Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Dekarbonisierung sowie Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Mit einer am 29. Juli 2021 in Kraft getretenen Änderung wurde das Europäische Klimagesetz aktualisiert und die Ziele des Grünen Deals aufgenommen.
Überarbeitung der Emissionshandelssysteme
Das traditionelle Steuerungsinstrument zur Eindämmung bestimmter Aktivitäten oder zur Beeinflussung des Verhaltens der Menschen ist die Erhebung von Abgaben oder Steuern. Damit bekommen Aktivitäten oder Verhaltensweisen mit negativen Auswirkungen einen Preis. Die Idee hinter dem Emissionshandel besteht darin, den Marktteilnehmern die Möglichkeit zu geben, die Emissionen dort zu reduzieren, wo die Kosten tief liegen. So lassen sich Klimaschutzziele kostengünstig erreichen. Gleichzeitig werden über die Bepreisung der Emissionen Finanzmittel für Dekarbonisierungsprojekte bereitgestellt. Das Kyoto-Protokoll hatte diese Idee formalisiert, und viele Länder haben seitdem ihre eigenen Märkte für den Handel mit Emissionszertifikaten eingeführt (allgemein als "Kohlenstoffmärkte" bezeichnet - einen Überblick über die Unterschiede zwischen den so genannten "Compliance-Märkten" und den "freiwilligen Märkten" finden Sie in unserem früheren Legal Update: "Neues zum CO2-Gesetz: Stillstand oder Aufbruch zu neuen Ufern?"). Das Emissionshandelssystem der EU (das "EU-EHS") deckt in seiner derzeitigen Form etwa 45 % der Treibhausgasemissionen der EU ab.
Die Rechtsgrundlage für das EU-EHS (das ursprünglich 2005 eingeführt wurde) besteht in der Richtlinie 2003/87/EG, auch EU-EHS-Richtlinie genannt. Die letzte Überarbeitung der EU-ETS-Richtlinie wurde 2018 verabschiedet und legte die Gesamtmenge der Emissionszertifikate für Phase 4 (2021-2030) fest. Damals hatte die EU noch das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 40 % unter das Niveau von 1990 zu senken. Um die EU-EHS-Richtlinie an die ehrgeizigeren Emissionsminderungsziele anzupassen, die nun im Europäischen Klimagesetz verankert sind, zielte der Kommissionsvorschlag vom 14. Juli 2021 darauf ab, die Bedingungen für die laufende Phase 4 zu aktualisieren. Der Vorschlag bestand aus fünf Hauptelementen:
- eine geringere Obergrenze und einen ehrgeizigeren linearen Reduktionsfaktor für Treibhausgasemissio-nen in Übereinstimmung mit dem Grünen Deal;
- überarbeitete Regeln für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten und die Marktstabilitätsreserve;
- die Ausweitung des EU-EHS auf den Seeverkehr (neben dem Luftverkehr);
- die Einführung eines separaten Emissionshandelssystems für Gebäude und den Straßenverkehr; und
- eine Aufstockung der Mittel für die EU-Finanzierungsprogramme zur Bekämpfung des Klimawandels mit neuen Regeln für die Verwendung der EHS-Einnahmen.
Das Europäische Parlament hat am 18. April 2023 seine endgültige Zustimmung zur Überarbeitung der EU-EHS-Richtlinie gegeben. Insbesondere müssen Marktteilnehmer wie Stromerzeuger und starke Verschmutzer aus den bestehenden EU-EHS-Sektoren (einschließlich des Seeverkehrs) ihre Emissionen nun bis 2030 um 62 % gegenüber dem Stand von 2005 reduzieren.
Die wohl aufsehenerregendste Neuerung des Vorschlags war die Einrichtung eines neuen, eigenständigen Emissionshandelssystems für die Kraftstoffverteilung im Straßenverkehr und in Gebäuden (EHS II). Diese Neuerung wurde von den Politikern heftig diskutiert, die unverhältnismäßige Auswirkungen auf sozial schwache Haushalte befürchteten, die bereits unter dem Druck eines ungünstigen wirtschaftlichen Umfelds stehen. Um solche Auswirkungen abzumildern, genehmigte das Parlament einen sozialen Klimafonds in Höhe von 86,7 Milliarden Euro, der ab 2026 zur Verfügung stehen soll, um Regierungen bei der Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen für schutzbedürftige Verbraucher zu unterstützen. Das EHS II soll ab 2027 anlaufen.
Die Situation in der Schweiz
CO2 Gesetz und Emissionshandel
Die Schweiz hat ihre Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens mit dem CO2-Gesetz vom 23. Dezember 2011 umgesetzt, das am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist (und eine frühere Fassung aus dem Jahr 1999 als Reaktion auf das Kyoto-Protokoll ersetzte). Das CO2-Gesetz enthält eine breite Palette spezifischer Maßnahmen, um die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen zu erreichen. Erstens wird seit 2008 eine CO2-Lenkungsabgabe auf fossile thermische Brennstoffe wie Heizöl oder Erdgas erhoben. Zweitens hat die Schweiz ein eigenes Emissionshandelssystem eingerichtet, das seit dem 1. Januar 2020 mit dem EU-Emissionshandelssystem verknüpft ist. Diese Anbindung ermöglicht es den Schweizer Marktteilnehmern, von der größeren Liquidität und den Möglichkeiten des EU-Emissionshandelsmarktes zu profitieren.
Am 13. Juni 2021 hat das Schweizer Volk eine revidierte Fassung des CO2-Gesetzes abgelehnt. Um zumindest den Kurs in die strategische Stossrichtung des Pariser Abkommens beizubehalten, musste das Schweizer Parlament ein Übergangsgesetz verabschieden, das die Weiterführung der bestehenden und bewährten Instrumente zur Reduktion der Treibhausgasemissionen ermöglicht. Die Regierung (der Bundesrat) hat am 16. September 2022 einen Vorschlag für ein neues CO2-Gesetz für die Zeit nach 2024 vorgelegt, aber das Parlament hat noch nicht begonnen, diesen Vorschlag zu beraten. In der Zwischenzeit wird das Schweizer Stimmvolk am 18. Juni 2023 über ein neues Klimaschutzgesetz abstimmen müssen.
Wie erwähnt besteht die Idee hinter dem Emissionshandel darin, Anreize für die Verursacher zu schaffen, ihre Emissionen dort zu reduzieren, wo es am wenigsten kostet. Der Emissionshandel betrifft jedoch nur bestimmte Sektoren wie die Stromerzeugung, Zementhersteller oder den Luftverkehr. Für andere Sektoren mussten zur Reduktion der Emissionen zusätzliche Regulierungen geschaffen werden. So erreichen die Kantone über ihre öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften eine gewisse Reduktion der CO2-Emissionen aus dem Hochbau. Im Kanton Zürich müssen Öl- und Gasheizungen am Ende ihrer Lebensdauer durch klimafreundliche Heizungen ersetzt werden. Strassenfahrzeuge unterliegen spezifischen CO2-Vorschriften: Seit 2015 wird für Neuwagen ein durchschnittlicher Zielwert von 130 g CO2 pro km vorgeschrieben, ab 2020 ein Zielwert von 95 g CO2 pro km. Treibstoffimporteure sind verpflichtet, einen Teil ihrer CO2-Emissionen aus dem Verkehr durch schweizerische oder ausländische Kompensationsprojekte auszugleichen. Das öffentliche Beschaffungswesen muss bestimmte Nachhaltigkeitskriterien einhalten. Schliesslich fördert der Technologiefonds des Bundes Innovationen, die Treibhausgase oder den Ressourcenverbrauch reduzieren, den Einsatz erneuerbarer Energien begünstigen und die Energieeffizienz erhöhen. Staatliche Bürgschaften sollen innovativen Unternehmen die Aufnahme von Krediten zur Finanzierung ihres Geschäfts erleichtern.
Neues Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (KlG)
Am 30. September 2022 hat das Schweizer Parlament das neue Klimaschutzgesetz als Gegenvorschlag zur sogenannten "Gletscher-Initiative" aus dem Jahr 2019 angenommen. Diese vom Verein Klimaschutz Schweiz lancierte Volksinitiative verlangte eine Reduktion der Netto-CO2 -Emissionen auf null bis 2050 und ein Verbot des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen wie Benzin, Diesel, Heizöl und Gas ab diesem Zeitpunkt. Im Gegensatz zur Initiative sieht das neue Gesetz kein Verbot fossiler Brennstoffe vor, sondern will auf Anreize und Motivation setzen. Das neue Gesetz unterliegt der Volksabstimmung (Referendum), die für den 18. Juni 2023 vorgesehen ist.
Eines der Ziele des neuen Gesetzes ist es, dass die Schweiz ihren Erdöl- und Erdgasverbrauch schrittweise reduziert und damit ihre Abhängigkeit vom Ausland bei Energieimporten verringert (heute importiert die Schweiz ca. 70% der im Inland verbrauchten Energie). Hauseigentümer, die ihre Öl-, Gas- oder Elektroheizungen ersetzen, sollen finanzielle Unterstützung erhalten. Darüber hinaus sollen auch Unternehmen unterstützt werden, die in klimafreundliche Technologien investieren. Das Gesetz schreibt nicht vor, dass Kapitalströme auf nachhaltige Investitionen umgelenkt werden sollen (wie es der Grüne Deal der EU ausdrücklich und nachdrücklich fordert). Vielmehr wird die Regierung aufgefordert, dafür zu sorgen, dass der Schweizer Finanzmarkt zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Insbesondere soll der Bund Massnahmen ergreifen, um die Klimaauswirkungen der nationalen und internationalen Kapitalflüsse zu mindern. Zu diesem Zweck erhält der Bund die Kompetenz, aber nicht die Pflicht, mit den Finanzbranchen Vereinbarungen zur klimafreundlichen Umgestaltung der Investitionsströme zu treffen.
Der Unterschied zur Haltung der EU könnte eher im Stil als in der Substanz gesehen werden. Letztlich zeigt sich darin nur ein weiteres Mal die generelle Abneigung der Schweiz gegen interventionistische staatliche Maßnahmen.
Nächste Schritte
Sowohl die Schweiz als auch die EU (und ihre einzelnen Mitgliedstaaten) sind dem Pariser Abkommen und dessen Hauptziel, die globale Erwärmung einzudämmen, beigetreten. Beide sind daher verpflichtet, geeignete Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen. Wenn es darum geht, die notwendigen NDCs zu beschließen, unterscheiden sich die gesetzgeberischen Ansätze der Schweiz und der EU. Mit dem Fit-for-55-Paket" hat die EU ein umfassendes Top-down-Programm entwickelt, um ihre Gesetzgebung konsequent in Richtung Klimaneutralität zu gestalten. Die EU schreitet auf diesem Weg beharrlich fort. Die Schweiz hingegen verfolgt einen eher fragmentierten Ansatz. Sie setzt lieber auf Lenkungssteuern, anstatt sich auf ausgeklügelte Handelssysteme zu verlassen; sie bevorzugt wirtschaftliche Anreize vor Verboten. Die Zeit wird zeigen, welcher Ansatz sich als nachhaltiger erweist, aber auch, ob es am Ende praktisch relevante Unterschiede gibt.
Siehe unser früheres juristisches Update: Neues zum CO-Gesetz2: Stillstand oder Aufbruch zu neuen Ufern?
Autoren: Markus Winkler (Counsel), Evelyn Frei (Associate)
Keine Rechts- oder Steuerberatung
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