COVID-19: Auswirkungen auf Versicherungsverträge und Versicherungsschutz
Die von Bundesrat und Behörden beschlossenen ausserordentlichen Massnahmen können erhebliche Auswirkungen auf Versicherungsverträge und die Versicherungsdeckung haben. Parteien von Versicherungsverträgen müssen proaktiv die möglichen Auswirkungen auf ihre vertraglichen Rechte und Pflichten analysieren.
1. Sind die relevanten Versicherungsdokumente vorhanden?
Es gibt keine generelle Antwort darauf, ob der Versicherungsschutz durch die ausserordentliche Lage im Zusammenhang mit COVID-19 beeinflusst wird oder ob ein sofortiger Handlungsbedarf infolge von bestehenden Obliegenheiten unter dem Versicherungsvertrag besteht. Die Konsequenzen und allfällige Massnahmen können nur im Einzelfall beurteilt werden. Sie hängen insbesondere von den konkreten Umständen und vor allem von der individuellen Versicherungspolice ab.
Daher ist es wichtig in einem ersten Schritt zu überprüfen, ob bestehende Versicherungsverträge (inklusive Anhänge) im Original oder als (vollständige) Kopie verfügbar sind. Sind Policen nicht verfügbar, so ist es jetzt an der Zeit, Kopien vom Versicherungsvermittler oder Versicherer zu fordern.
2. Sieht der Versicherungsvertrag bestimmte Pflichten des Versicherungsnehmers vor?
Versicherungsverträge sehen oft Handlungsobliegenheiten vor, einschliesslich von Meldepflichten des Versicherungsnehmers, beispielsweise im Falle eines erhöhten Risikos (siehe unten). Kommt der Versicherungsnehmer dieser Verpflichtung nicht nach, kann es zu einer Reduktion oder zum Verlust der Deckung kommen. Aus diesem Grund sollten Versicherungsnehmer angesichts der aussergewöhnlichen und dynamischen Situation, mit der die meisten Unternehmen heute konfrontiert sind, ihre Verträge proaktiv überprüfen und gegebenenfalls ihren Meldepflichten und Schadenminderungsobliegenheiten nachkommen.
Solche Pflichten können sich ausserhalb des Versicherungsvertrages auch aus dem Gesetz ergeben. Gemäss Art. 61 des Schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes sind Versicherungsnehmer verpflichtet den Schaden zu mindern. Andernfalls kann der Versicherer möglicherweise die Deckung kürzen. Die Kürzung erfolgt im Umfang des Schadens, den der Versicherungsnehmer durch zumutbare Massnahmen hätte verhindern können. Versicherer sind ausserdem berechtigt, den Versicherungsnehmern Anweisungen zur Schadensbegrenzung zu geben. Dies kann eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer erfordern.
3. Kennen die relevanten Mitglieder der Geschäftsführung diese Pflichten?
Um eine Kürzung der Versicherungsdeckung zu vermeiden, sollten Versicherungsnehmer ihre Verträge überprüfen. Möglicherweise bestehen Melde- oder Handlungspflichten oder es müssen Instruktionen des Versicherers eingeholt werden. Zudem ist wichtig, dass alle relevanten Personen innerhalb des Unternehmens diese Pflichten kennen.
Machen beispielsweise Dritte Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer geltend, kann die Inanspruchnahme eines externen Rechtsvertreters von der Zustimmung des Versicherers abhängig gemacht werden. Andererseits könnte bei Event-Versicherungen die Organisation neuer (oder bereits der Versicherung angemeldeter) Veranstaltungen wegen der unsicheren Dauer des Versammlungsverbotes aktuell nicht gedeckt sein und muss mit dem Versicherer koordiniert werden. Ebenso können Betriebsunterbrechungsversicherungen die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften und die Zusammenarbeit mit den Behörden erfordern.
Wie diese Beispiele zeigen, können die Pflichten im Rahmen der einzelnen Policen für den gegenwärtigen wie auch zukünftigen Betrieb relevant sein und müssen somit in allfällige Notfallplanungen eines Unternehmens einbezogen werden. Es ist daher wichtig, dass sich das Management dieser Pflichten bewusst ist und diesen die nötige Aufmerksamkeit schenkt.
4. Welche wesentlichen Ausschlüsse enthält der Versicherungsvertrag?
Versicherungsverträge enthalten in der Regel eine Reihe von Ausschlüssen. Diese begrenzen die versicherten Risiken und erlauben dem Versicherer eine attraktive Prämie zu offerieren. Ausschlüsse müssen aber hinreichend klar sein. Gerichte können unklare Ausschlüsse gemäss Art. 33 des Schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes zu Gunsten des Versicherungsnehmers auslegen. Ob die Deckung für Schäden im Zusammenhang mit COVID-19 ausgeschlossen ist, hängt somit wiederum entscheidend vom Wortlaut des Ausschlusses ab.
5. Ist eine Kündigung im Schadenfall möglich?
Die Parteien sollten prüfen, ob eine ausserordentliche Kündigung möglich ist. Einige Versicherungsverträge berechtigen zudem im Schadensfall zur Kündigung des Vertrages. Unter Umständen ist ein erstes Schadensereignis noch gedeckt, doch danach ist der Vertrag möglicherweise ausserordentlich kündbar.
6. Enthält der Versicherungsvertrag Bestimmungen zur Risikoerhöhung?
Viele Versicherungsverträge enthalten hierzu spezielle Regeln, beispielsweise eine Meldepflicht für den Fall einer wesentlichen Erhöhung von Risiken.
Gemäss Art. 30 des Schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes kann der Versicherer den Vertrag mit einer Frist von 14 Tagen kündigen, falls eine wesentliche Risikoerhöhung ohne Zutun des Versicherungsnehmers erfolgt ist. Dieses Kündigungsrecht gilt aber nur, sofern dieses ausdrücklich im Vertrag vorgesehen wurde. Die Schwelle für eine "wesentliche Risikoerhöhung" ist hoch. So muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände von Fall zu Fall beurteilt werden, ob eine "wesentliche Risikoerhöhung" vorliegt, bzw. vorlag.
Versicherungsnehmer sollten prüfen, ob ihre Versicherungsverträge Bestimmungen zur Risikoerhöhung, und damit verbunden ein ausserordentliches Kündigungsrecht des Versicherers, vorsehen. Zu beachten ist dabei, dass die Parteien mit Ausnahme von Transportversicherungen nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von Art. 30 des Schweizerischen Versicherungsvertragsgesetzes abweichen können. Die Parteien können für Risikoerhöhungen ohne Zutun des Versicherungsnehmers beispielsweise nicht eine Kündigungsfrist unter 14 Tage vereinbaren oder die Voraussetzungen für eine "wesentliche Risikoerhöhung" herabsetzen um so leichter ein Kündigungsrecht des Versicherers zu begründen.
Autoren: Beat Schwarz (Partner), Catherine Hoerr (Associate)
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