BGer 5A_440/2024 vom 31. März 2025: Darlehensgeber können im Konkurs leer ausgehen – eine sorgfältige Prüfung vor der Gewährung eines Notkredits lohnt sich
Key takeaways
- Gewährt eine nahestehende Person einer finanziell angeschlagenen Gesellschaft ein Darlehen, wird die Forderung auf Rückzahlung im Konkurs der Darlehensnehmerin allenfalls auch ohne explizite Vereinbarung eines Rangrücktritts als nachrangig qualifiziert. Die Darlehensgeberin geht alsdann in aller Regel gänzlich leer aus. In BGer 5A_440/2024 klärte das Bundesgericht die Voraussetzungen einer solchen nachrangigen Behandlung eines Darlehens.
- Ein Darlehen kann im Konkurs einerseits auf Grund des Rechtsmissbrauchsverbots als nachranging behandelt werden. Hierzu braucht es eine Überschuldung der Darlehensnehmerin im Zeitpunkt der Darlehensgewährung.
- Andererseits kann ein Darlehen auf Grund eines konkludenten Rangrücktritts als nachranging gelten. Vorausgesetzt sind konkrete Anhaltspunkte für den Willen der Parteien, dass die Darlehensgeberin zugunsten der am Vertrag nicht beteiligten Gesellschaftsgläubiger zurücktritt.
- Aktionäre und nahestehende Personen sollten daher vor der Gewährung eines Darlehens sorgfältig prüfen, ob die Darlehensnehmerin überschuldet ist; der Rechtsmissbrauch setzt gemäss Bundesgericht eine Überschuldung voraus. Zudem sollten die Parteien in den Darlehensverträgen explizit festhalten, dass sie keinen Rangrücktritt beabsichtigen; damit wirken sie einem konkludent vereinbarten Rangrücktritt entgegen.
Was ist geschehen?
Zwischen 2016 und 2018 gewährten mehrere nahestehende Personen (u.a. Aktionäre, Verwaltungsräte und eine Schwestergesellschaft) einer Gesellschaft Darlehen. 2018 ging die Gesellschaft Konkurs.
Im Konkursverfahren wurden die Darlehensforderungen als rangrücktrittsbelastete Forderungen der dritten Klasse qualifiziert. Die kantonalen Instanzen wiesen die dagegen gerichteten Klagen und Rechtsmittel der Darlehensgeber ab. Die Darlehensgeber beantragten vor Bundesgericht, ihre Forderungen sei ohne Rangrücktritt zu kollozieren.
Was erwog das Bundesgericht?
Das Bundesgericht führte einleitend aus, dass Darlehen nahestehender Gläubiger an notleidende Gesellschaften in der Literatur als problematisch erachtet werden. Solche Darlehen ermöglichten der Gesellschaft die fortgesetzte Teilnahme am Wirtschaftsleben ohne wirkliche Sanierung. Dies könne Gläubiger bereits bestehender und neuer Forderungen schädigen.
Um dieser Problematik zu begegnen, werden in der Literatur verschiedene Abhilfen vorgeschlagen. Teilweise wird gefordert, Darlehen nahestehender Personen unter bestimmten Voraussetzungen in Eigenkapital umzuqualifizieren. Ebenso wird vertreten, solche Forderungen unter bestimmten Voraussetzungen als nachrangig, d.h. den Forderungen der dritten Klasse nachgehend, zu behandeln.
Das Bundesgericht erinnerte zunächst daran, dass es eine Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital in früheren Entscheiden abgelehnt habe. Die Parteien stellten diese Rechtsprechung im Verfahren nicht in Frage.
Das Bundesgericht prüfte daher als nächstes eingehend, ob die Darlehen der Beschwerdeführer im Konkurs als nachrangig zu qualifizieren seien.
Zuerst befasst sich das Bundesgericht mit dem Argument des Rechtsmissbrauchsverbots. Wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung bestehe, müsse der Verwaltungsrat gemäss Gesetz eine Zwischenbilanz erstellen und diese einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorlegen. Ergäbe sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sei, so habe der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten. Auf Grund dieser gesetzlich normierten Pflichten dürfen Gläubiger darauf vertrauen, dass eine am Rechtsverkehr teilnehmende Gesellschaft nicht überschuldet bzw. im Ausmass der Unterdeckung der Rangrücktritt erklärt worden sei. Abgesehen von einer solchen Überschuldung bestehe jedoch keine gesetzliche Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen der Gläubiger, dass sich eine Gesellschaft nicht in finanziellen Schwierigkeiten befinde. Solange daher eine Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung nicht überschuldet sei, erscheine die Darlehensgewährung und die spätere Geltendmachung der Forderung im Konkurs nicht als offenbar rechtsmissbräuchlich.
Weiter befasst sich das Bundesgericht mit dem von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten konkludenten Rangrücktritt. Ein konkludenter Rangrücktritt könne sich aus dem tatsächlichen sowie aus dem mutmasslichen Willen der Parteien ergeben. Zum mutmasslichen Willen präzisierte das Bundesgericht, dass sich ein Rangrücktritt des Darlehensgebers zugunsten der anderen Gläubiger und damit am Vertrag nicht beteiligter Dritter auswirke. Soweit den Erklärungen der Parteien keine Anhaltspunkte für einen entsprechenden mutmasslichen Willen zu entnehmen sei, sei nicht davon auszugehen, dass die Darlehensgeberin mit einem sie belastenden Rangrücktritt zugunsten Dritter einverstanden sei.
Schliesslich äussert sich das Bundesgericht auch noch zum Argument, die Nachrangigkeit ergäbe sich unabhängig von einer Überschuldung auch aus einer vom Gericht zu füllenden Gesetzeslücke. Dies verneinte das Bundesgericht mit folgender Begründung: Mit Blick auf die Gesetzgebungsarbeiten im Sanierungs- und Gesellschaftsrecht bestehe kein Grund zur Annahme, der Gesetzgeber habe die Frage, wie Darlehen nahestehender Personen im Konkurs zu behandeln sind, übersehen. Vielmehr habe der Gesetzgeber bewusst auf eine Regelung verzichtet und das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB) als korrigierenden "Notbehelf" im Einzelfall als hinreichend betrachtet, um einen nahestehenden Gesellschaftsgläubiger in den Nachrang zu versetzen. Es liege daher ein qualifiziertes Schweigen vor und damit kein Raum für eine Lückenfüllung durch das Gericht.
Das Bundesgericht wandte diese Grundsätze alsdann auf den konkreten Fall an. Die Beschwerdeführer stellten zwar der Gesellschaft nahestehende Personen dar. Das Bundesgericht verneinte jedoch einen Rechtsmissbrauch mangels Überschuldung der Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung. Zudem sei kein tatsächlicher Wille für einen konkludenten Rangrücktritt nachgewiesen worden. Es gäbe auch keine Anhaltspunkte für einen entsprechenden mutmasslichen Willen. Daran ändere nichts, dass die Liquiditätsprobleme der Gesellschaft ab 2016 notorisch waren, ab Ende 2016 der Konkurs der Gesellschaft ein ernsthaftes Risiko gewesen sei und die Beschwerdeführer bestätigt hätten, sie hätten mittels der Darlehen die Weiterführung der Gesellschaft sicherstellen wollen.
Zusammengefasst kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die strittigen Forderungen keinem Rangrücktritt unterliegen. Es wies daher die Beschwerde gut und ordnete die Kollozierung der Forderungen in der dritten Klasse an.
Wieso ist dieser Entscheid wichtig?
Befindet sich eine Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten, überlegen sich nahestehende Personen oft, der Gesellschaft ein Darlehen zu gewähren. Solche Darlehen können im Konkurs, trotz Fehlen einer expliziten Rangrücktrittsvereinbarung, als rangrücktrittsbelastet qualifiziert werden. Alsdann treten sie im Konkurs hinter alle anderen nicht rangrücktrittsbelasteten Forderungen zurück, und die Darlehensgläubiger erhalten in den allermeisten Konkursen keine Konkursdividende.
In der Lehre und Rechtsprechung bestand Unsicherheit darüber, wann Darlehen nahestehender Personen im Konkurs in diesem Sinne als nachranging behandelt werden müssen. BGer 5A_440/2024 klärt wichtige Fragen:
- Mögliche rechtliche Grundlagen für die nachrangige Behandlung von Darlehen nahestehender Personen sind das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie die Annahme eines konkludenten Rangrücktritts, nicht jedoch die Schliessung einer Gesetzeslücke.
- Solange eine Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung nicht überschuldet ist, erscheint die Darlehensgewährung und die spätere Geltendmachung der Forderung im Konkurs nicht als offenbar rechtsmissbräuchlich. Es reicht somit nicht, dass sich die Darlehensnehmerin bei der Darlehensgewährung in einer schwierigen finanziellen Situation befand, oder dass eine aussenstehende Drittperson die Darlehen in dieser Form nicht gewährt hätte ("Drittmannstest"). Ebensowenig ausreichend ist, dass in der konkreten Situation nur noch eine Kapitaleinlage sanierende Wirkung entfaltet hätte ("Sanierungstest").
- Sodann kann kein konkludenter Rangrücktritt angenommen werden, nur weil die Liquiditätsprobleme einer Gesellschaft notorisch sind, der Konkurs der Gesellschaft ein ernsthaftes Risiko ist und mittels der Darlehen die Weiterführung der Gesellschaft sichergestellt werden sollen. Vielmehr braucht es Anhaltspunkte für den (mutmasslichen) Willen der Parteien, dass die Darlehensgeberin zugunsten der am Vertrag nicht beteiligten anderen Gläubiger zurücktreten solle.
Die bundesgerichtliche Klärung der Rechtslage ist zu begrüssen. Allerdings sind nicht alle sich stellenden Fragen höchstrichterlich geklärt.
- Insbesondere ist unklar, ob (und wenn ja welche) zusätzlichen Umstände zu einer Überschuldung im Zeitpunkt der Darlehensgewährung hinzutreten müssen, damit ein Rechtsmissbrauch und eine Rangrücktrittsbelastung zu bejahen sind.
- Nicht höchstrichterlich geklärt ist zudem, ob ein Rechtsmissbrauch auch dann vorliegen kann, wenn die Darlehensnehmerin im Zeitpunkt der Darlehensgewährung zwar überschuldet ist, jedoch i.S.v. Art. 725b Abs. 4 Ziff. 2 OR begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann und dass die Forderungen der Gläubiger nicht zusätzlich gefährdet werden. Wird die Überschuldung vorübergehend behoben, und fällt die Gesellschaft später trotzdem in den Konkurs, ist unklar, ob die Darlehen alsdann immer noch als nachrangig gelten.
- Ebenso ist nicht höchstrichterlich geklärt, ob die rangrücktrittsbelasteten Darlehen bei der Beurteilung der Pflichten des Verwaltungsrats bei Überschuldung (Art. 725b OR) zu berücksichtigen sind.
In der Praxis sollten die nahestehenden Personen trotz dieser Unklarheiten in Zukunft das folgende tun:
- Sie sollten einerseits genau prüfen, ob die Darlehensnehmerin im Zeitpunkt der Darlehensgewährung überschuldet ist. Diese Prüfung ist oft nicht einfach oder klar. Insbesondere kann schwierig zu beurteilen sein, ob die Gesellschaft noch einen "Going Concern" hat und daher zu Fortführungswerten zu bewerten ist, oder ob der "Going Concern" fehlt, die Gesellschaft zu Liquidationswerten bilanzieren muss und deswegen eine Überschuldung anzunehmen ist.
- Zudem sollten die Parteien im Darlehensvertrag jeweils einen Rangrücktritt explizit ausschliessen, um der Gefahr eines konkludent vereinbarten Rangrücktritts entgegenzuwirken.
Authoren: Andreas Lienhard (Partner), Tobias Christen (Associate)
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