BGer 1C_665/2024 vom 3. Juli 2025: Rückforderung von zu viel bezahltem Lohn
Key takeaways
- Das Bundesgericht schützt den Rückforderungsanspruch einer Arbeitgeberin des öffentlichen Rechts (Primarschule der Stadt Dübendorf), die einer Lehrerin während rund eindreiviertel Jahren über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus versehentlich weiterhin Lohn bezahlte, gestützt auf die Grundlagen der ungerechtfertigten Bereicherung. Die Lehrerin muss daher CHF 30'272.76 an Lohn zurückzahlen.
- Der Lohn wurde weiterhin ausbezahlt, da die Meldung an die Lohnadministration versehentlich unterblieb. Die entsprechenden Leistungen wurden somit versehentlich und damit ungewollt bzw. irrtümlich erbracht. Demzufolge handelte es sich um keine freiwillige Bezahlung einer Nichtschuld. Ein weiterer Irrtumsnachweis war nicht nötig.
- Das Bundesgericht verneinte auch den guten Glauben der Arbeitnehmerin. Diese erhielt weiterhin Lohnabrechnungen der alten Arbeitgeberin und den Lohnausweis für die Steuererklärung. Ihr hätte bei Anwendung der zumutbaren Aufmerksamkeit klar sein müssen, dass der alten Arbeitgeberin ein Fehler unterlief. Auch entspreche es der gebotenen Sorgfalt, dass eine Arbeitnehmerin beim Antritt einer neuen Stelle den zugeflossenen Lohn überprüfe und somit ein monatlich stärkerer Anstieg des Kontosaldos erkennen sollte. Da somit die Arbeitnehmerin hätte erkennen müssen, dass die Lohnzahlungen aufgrund eines Fehlers erfolgten, war der rückzuerstattende Betrag nicht auf Grund guten Glaubens zu reduzieren.
- Fordert die Arbeitgeberin den versehentlich zu viel bezahlten Lohn gestützt auf das Bereicherungsrecht zurück, so hat sie insbesondere die dort geltende Verjährungsregelung gemäss Art. 67 OR zu beachten, wonach der Bereicherungsanspruch drei Jahre nach Kenntnis des Anspruches verjährt.
- In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass eine Arbeitgeberin versehentlich zu viel Lohn bezahlt. Die Arbeitgeberin hat alsdann sorgfältig zu prüfen, was die rechtliche Grundlage für eine Rückerstattung ist, und wie sie ihre Forderung am besten durchsetzen kann. Relevant sind stets die Umstände des Einzelfalles.
Was ist geschehen?
A (Arbeitnehmerin) arbeitete seit dem 1. August 2018 zu 50% als Primarlehrerin bei der Stadt Dübendorf. Ab dem 1. August 2019 war sie in einem Pensum von 64% tätig und zusätzlich zu 22% als Lehrperson für Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Ab dem 1. August 2020 wurde A Vollzeit (100%) als Primarlehrerin beim Kanton angestellt. Damit fiel die Beschäftigung als Primarlehrerin sowie als DaZ-Lehrperson bei der Stadt Dübendorf weg.
Dennoch zahlte die Stadt Dübendorf weiterhin den Lohn für die DaZ-Anstellung. Mit Schreiben vom 12. April 2022 informierte die Schulverwaltung der Primarschule der Stadt Dübendorf A, dass ihr ab dem 1. August 2020 bis im März 2022 versehentlich der Lohn weiterhin bezahlt wurde und nun beabsichtigt werde, einen Betrag von CHF 36'883.00 von A zurückzufordern.
Mit begründeter Verfügung vom 4. Oktober 2022 verlangte die Präsidentin der Primarschulpflege der Stadt Dübendorf von A die Rückerstattung des Betrages von CHF 32'162.10. Gegen diese Verfügung erhob A Rekurs beim Bezirksrat Uster, welcher den Rekurs teilweise guthiess und den strittigen Betrag auf CHF 30'272.76 herabsetzte. Mittels Beschwerde focht A den Rekursentscheid erfolglos beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und anschliessend den Verwaltungsgerichtsentscheid ebenfalls ohne Erfolg beim Bundesgericht an.
Was erwog und entschied das Bundesgericht?
Das Bundesgericht hatte zu beurteilen, ob die Primarschule der Stadt Dübendorf die versehentlich geleisteten Lohnzahlungen gestützt auf die ungerechtfertigte Bereicherung zurückfordern kann, d.h. ob A zu Recht verpflichtet wurde, der Stadt Dübendorf einen Betrag von CHF 30'272.76 aus ungerechtfertigten Lohnzahlungen bis Ende Februar 2022 zurückzuzahlen.
Die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 OR)
Zunächst erläuterte das Bundesgericht die rechtlichen Grundlagen der ungerechtfertigten Bereicherung, welche auch im Verwaltungsrecht gelten.
Analog zu den privatrechtlichen Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR) gilt auch im Verwaltungsrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass Zuwendungen, die aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund erfolgen, zurückzuerstatten sind. Ungerechtfertigt sind namentlich Leistungen, auf welche materiellrechtlich kein Anspruch besteht.
Diesbezüglich erwog das Bundesgericht, dass A grundsätzlich um den Betrag der bezogenen Lohnleistungen für die DaZ-Anstellung im fraglichen Zeitraum ungerechtfertigt bereichert ist, da A ab dem 1. August 2020 keine Arbeitsleistung mehr als Lehrperson für DaZ erbrachte. Zudem bot sie eine solche auch nicht an bzw. hätte sie aufgrund ihrer neuen Vollzeitanstellung als Lehrperson beim Kanton auch nicht anbieten können. Die vorliegend zur Diskussion stehenden Lohnzahlungen erfolgten daher ohne Rechtsgrund.
Zahlung einer Nichtschuld (Art. 63 OR)
Gemäss Art. 63 Abs. 1 OR kann, wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt hat, das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. Wurde eine solche Leistung versehentlich und ungewollt erbracht, liegt hingegen keine freiwillige Bezahlung einer Nichtschuld vor.
A drang mit ihrem Argument, die Primarschule hätte gewusst, dass sie ab dem 1. August 2020 nicht mehr als Lehrperson für DaZ tätig war und somit keine Lohnzahlungen mehr geschuldet seien, nicht durch.
Vielmehr erwog das Bundesgericht, dass die fraglichen Lohnzahlungen per Ende Juli 2020 nicht eingestellt wurden, da versehentlich eine Meldung an die Lohnadministration unterblieb. Erst im März 2022 erkannte die administrative Leitung, dass fälschlicherweise monatliche Lohnzahlungen für die nicht mehr bestehende DaZ-Anstellung erfolgten. Das Bundesgericht ging daher davon aus, dass die Primarschulverwaltung der Stadt Dübendorf die fraglichen Lohnzahlungen nur in der Annahme geleistet habe, sie seien (weiterhin) geschuldet. Das Bundesgericht hat daher unter den gegebenen Umständen angenommen, die entsprechende Leistung sei versehentlich und damit ungewollt bzw. irrtümlich erbracht worden.
Sodann ist ein Irrtum anzunehmen, wenn nach den Umständen des Falles ausgeschlossen werden kann, dass die Leistende eine Schenkung beabsichtigte. Bei Leistungen durch den Staat ist grundsätzlich nie von einer Schenkungsabsicht auszugehen.
Bereicherung der empfangenden Person (Art. 64 OR)
Weiter führte das Bundesgericht aus, dass die Rückerstattung gemäss Art. 64 OR insoweit nicht zurückgefordert werden kann, als die empfangende Person nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist. Ausgenommen sind aber Fälle, in denen sich die empfangende Person der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder mit der Rückerstattung rechnen musste. Zwar wird der gute Glaube grundsätzlich vermutet (Art. 3 Abs. 1 ZGB), doch kann sich die bereicherte Person nicht darauf berufen, wenn sie zum Zeitpunkt der Übertragung bzw. Entäusserung mit einer Rückerstattung rechnen musste, weil sie wusste oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte wissen müssen, dass die Leistung ungerechtfertigt erbracht wurde bzw. nicht geschuldet war (vgl. Art. 3 Abs. 2 ZGB).
Das Bundesgericht ging aus mehreren Gründen davon aus, dass A die Lohnleistungen nicht in gutem Glauben entgegengenommen hat: Zum einen erhielt A ab dem 1. August 2020 monatlich vom Kanton eine Lohnabrechnung für die neue Vollzeitanstellung und zudem von der Stadt Dübendorf eine Lohnabrechnung für die DaZ-Anstellung. A hätte bei der zu verlangenden Aufmerksamkeit klar sein müssen, dass der Stadt Dübendorf ein Fehler unterlaufen sei. Zum anderen habe sie im Jahr 2020 die Einkünfte in ihrer Steuererklärung deklariert, weshalb sie den Lohnausweis der Stadt Dübendorf zur Kenntnis genommen haben muss. Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass auch wenn A die einzelnen Kontoauszüge nicht genau durchgesehen hat, so hätte ihr den monatlich stärkeren Anstieg des Kontosaldos um jeweils CHF 1'500.00 auffallen müssen, insbesondere weil es gerade bei einer neuen Anstellung der gebotenen Sorgfalt entspricht, zu prüfen, ob der Lohn den neuen Anstellungsbedingungen entspricht.
Mangels gutem Glauben war A somit rückerstattungspflichtig und das Bundesgericht liess offen, ob sie zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert war.
Ersatzforderung für notwendige Verwendungen (Art. 65 OR)
A macht weiter geltend, sie habe mit den versehentlich geleisteten Lohnzahlungen ein Fahrzeug gekauft und macht die jährlichen Unterhaltskosten für dieses Fahrzeug als notwendige Verwendungen geltend. Gemäss Bundesgericht vermag A aber nicht nachzuweisen, dass das strittige Fahrzeug überhaupt als Surrogat für die versehentlich geleisteten Lohnzahlungen qualifiziert werden könne. Das Bundesgericht hält fest, dass A nicht geltend macht, dass sie das Fahrzeug nicht gekauft hätte ohne die geleisteten Lohnzahlungen. Sie hat daher keinen Anspruch auf eine Ersatzforderung für notwendige Verwendungen gestützt auf Art. 65 OR.
Kein Selbstverschulden der Arbeitgeberin
Auch aus dem Umstand eines allfälligen Selbstverschuldens der Primarschulpflege der Stadt Dübendorf kann A gemäss Bundesgericht nichts zu ihren Gunsten ableiten, da es nicht bundesrechtswidrig sei, eine Herabsetzung der Ersatzpflicht nach Art. 44 OR nicht auf Rückforderungen aus ungerechtfertigter Bereicherung anzuwenden.
Wieso ist dieser Entscheid wichtig?
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass aufgrund einer Buchhaltungspanne der Lohn über das Arbeitsverhältnis hinaus versehentlich weiterhin bezahlt wird. Das Urteil des Bundesgerichts zeigt eine praxisrelevante Auslegung von Art 62 ff. OR im Rahmen von zu viel bezahltem Lohn nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses auf.
Dieser Entscheid ist deshalb wichtig, weil er die Anforderungen an ein Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers erläutert und kann daher bei der Beurteilung Rückforderungsansprüchen des Arbeitgebers herangezogen werden. Zudem zeigt der Bundesgerichtsentscheid auf, wann sich ein Arbeitnehmer nicht auf den guten Glauben berufen kann und betont gewisse Sorgfaltspflichten des Arbeitnehmers.
Es ist jedoch zu beachten, dass der Arbeitgeber auch die Verjährungsfristen nach Art. 67 OR zu berücksichtigen hat, wenn er eine geleistete Zahlung gestützt auf das Bereicherungsrecht zurückfordert. Danach verjährt der Anspruch auf Rückerstattung mit Ablauf von drei Jahren ab Kenntnisnahme des Anspruches, spätestens aber mit Ablauf von zehn Jahren ab Entstehung des Anspruches.
Schliesslich sind immer auch die Umstände des Einzelfalles relevant. Diese können einen Einfluss haben auf die anwendbare rechtliche Grundlage für den Rückerstattungsanspruch der Arbeitgeberin, wie auch auf die Frage, wie die Arbeitgeberin ihren Anspruch am besten durchsetzt.
Autoren: Andreas Lienhard (Partner), Seraina Würgler (Associate)
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