Neue Vorschriften für das Schweizer Depotgeschäft
Key takeaways
- Im Unterschied zu Einlagen werden bei einer Bank hinterlegte Wertschriften (Depotwerte) im Konkurs ausgesondert. Wertschriften fallen somit von vornherein nicht in die Konkursmasse. Damit dieser Rechtsanspruch im konkreten Fall durchgesetzt werden kann, müssen die Kundenbestände jedoch möglichst zeitnah identifiziert werden können.
- Bislang war bei der Verwahrung von Bucheffekten nicht in der ganzen Verwahrungskette eine Trennung von Eigen- und Kundenbeständen gewährleistet.
- Im Zuge der neuesten Anpassungen zur Bankeninsolvenz und zur Einlagensicherung per 1.1.2023 wurde dies nun geändert und dadurch der Anlegerschutz weiter gestärkt.
Verbesserter Anlegerschutz in der Bankengesetzgebung
Am 1. Januar 2023 sind einige neu bankenrechtliche Bestimmungen in Kraft getreten, welche für den Fall eines Bankenkonkurses u.a. eine schnellere Auszahlung von privilegierten Einlagen vorsehen. Im Unterschied zu Einlagen werden bei der Bank hinterlegte Wertschriften (Depotwerte) im Konkurs ausgesondert. Wertschriften fallen somit von vornherein nicht in die Konkursmasse. Damit dieser Rechtsanspruch im konkreten Fall durchgesetzt werden kann, müssen die Kundenbestände jedoch möglichst zeitnah identifiziert werden können. Unter dem bisherigen Recht war die sogenannte Segregierung von Wertschriftenbeständen nur unvollständig umgesetzt. So war bei der Verwahrung von Wertschriften, die als Bucheffekten hinterlegt sind, nicht in der ganzen Verwahrungskette eine Trennung von Eigen- und Kundenbeständen gewährleistet. Im Zuge der Anpassungen zur Bankeninsolvenz und zur Einlagensicherung per 1.1.2023 wurde dies nun geändert und dadurch der Anlegerschutz weiter gestärkt.
Neu vollständige Segregierung in der Verwahrungskette
Allgemeines zum Schweizer Depotgeschäft
In der Schweiz kann die Verwahrung von Vermögenswerten durch verschiedene Arten von Finanzinstituten und Banken erfolgen. Dementsprechend finden sich die für die Verwahrung von Vermögenswerten geltenden gesetzlichen Bestimmungen in verschiedenen Gesetzen: im Bankengesetz (BankG), im Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) und im Bucheffektengesetz (BEG). Nicht anwendbar sind hingegen die im Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) enthaltenen Verhaltensregeln für Finanzdienstleister. Das reine Depotgeschäft zählt nicht zu den Finanzdienstleistungen. Das FinfraG enthält Bewilligungs- und Organisationsvorschriften für Zentralverwahrer sowie gewisse spezifische Vorschriften zur Trennung von Vermögenswerten, die für direkte Teilnehmer der Zentralverwahrer gelten, wie z.B. Banken, die als Verwahrungsstelle im Sinne des BEG auftreten. Weitere Finanzintermediäre, die als Verwahrer im Sinne des BEG tätig sein können, sind Wertpapierhäuser (früher Effektenhändler) (gemäss Art. 41 ff. Finanzinstitutsgesetz FINIG) und Fondsleitungen (gemäss Art. 32 ff. FINIG), die beide der prudentiellen Aufsicht der FINMA unterstehen. In der Praxis handelt es sich bei den Verwahrern meist um Banken. Aus Gründen des erhöhten Anlegerschutzes muss die Verwahrung von Vermögenswerten kollektiver Kapitalanlagen nach dem Kollektivanlagengesetz (KAG) immer Banken anvertraut werden.
Neben dem bankinternen Verwahrungssystem gibt es einen nationalen Wertschriftenverwahrer, die SIS (SIX SIS AG). Seit dem 26. September 2017 ist die SIS selbst als Zentralverwahrer bewilligt und untersteht damit dem FinfraG und wird von der FINMA beaufsichtigt (vorher war die SIS als Bank nach dem BankG bewilligt). Bereits zu den Zeiten physisch ausgegebener Wertpapiere erfolgte keine physische Trennung mehr zwischen den Wertpapieren, die sich im Besitz der Verwahrungsstelle befanden, und den Wertpapieren, die für die Kunden gehalten wurden. Die Wertpapiere wurden gemischt und in fortlaufender Reihenfolge nach Seriennummern gelagert und buchhalterisch, d.h. über Bücher und Aufzeichnungen getrennt.
Seit dem 1. Januar 2010 können vertretbare Wertpapiere nach den besonderen Bestimmungen des BEG als sogenannte Bucheffekten (intermediäre Wertschriften oder intermediated securities) hinterlegt werden. In diesem Fall werden die Wertpapiere entweder bei der SIS oder bei einer Verwahrungsstelle hinterlegt, die diese Wertpapiere den Wertpapierkonten der Hinterleger gutschreibt. Handelt es sich bei den betreffenden Wertpapieren um entmaterialisierte oder stückelose Wertpapiere und können sie daher nicht physisch hinterlegt werden, so gelten sie als im Rahmen der SIS hinterlegt, wenn sie in das Hauptregister der Verwahrungsstelle eingetragen sind und den individuellen Konten der Eigentümer gutgeschrieben werden.
Was ist eine Verwahrungskette?
Ein mediatisiertes Verwahrungssystem besteht in seiner einfachsten Form aus einer "Pyramide" (custody chain) von Depotverträgen mit drei Ebenen: Ganz oben an der Spitze steht ein nationaler Zentralverwahrer (central securities depository - CSD). Dort sind die Emissionen entweder physisch in Sammeldepots hinterlegt oder (elektronisch) in Registern erfasst. Die mittlere Ebene besteht aus verschiedenen Finanzintermediären (Depotbanken u.ä.), für die der CSD Depotkonten führt. An der Basis der Pyramide stehen die individuellen Anleger, die ihre Bestände bei einer Depotbank in einem Depot halten.
Es ist möglich, dass die Bestände eines beim CSD für eine Depotbank gehaltenen Depots alle auf den Namen der Depotbank in einem Sammelkonto (omnibus account) geführt sind. Dann ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob es sich um Eigenbestand oder Kundenbestand handelt. Während dieser Umstand die Vertraulichkeit erhöht, erschwert er für den Fall der Insolvenz der Depotbank die Durchsetzung der Ansprüche der Anleger.
Genau dieses Problem adressiert die Segregierung, welche verlangt, dass die eigenen Bestände der Depotbank von den Beständen ihrer Kunden und die Bestände eines Kunden von den Beständen anderer Kunden getrennt gehalten werden müssen. Dies muss nicht unbedingt durch getrennte Depots sichergestellt werden (siehe sogleich). Es genügt auch eine rein buchhalterische Trennung. Segregierung führt zu einer besseren Überschaubarkeit der Rechtsverhältnisse und soll verhindern, dass im Konkursfall einer Depotbank deren Gläubiger auf die Kundenbestände zugreifen. Ausserdem dient sie der Beschleunigung des Konkursverfahrens. Entscheidend ist letztlich aber immer, ob dem Anleger nach dem anwendbaren nationalen Recht ein Recht auf Aussonderung im Konkurs zusteht.
Bisherige Verpflichtung galt nur an der Spitze der Verwahrungskette
Im Gegensatz zu den Einlagen (Art. 37a BankG) stehen Depotwerte (beispielsweise Aktien und Fondsanteile) im Eigentum der Kundinnen und Kunden. Sie werden von Gesetzes wegen vollständig im Konkursverfahren abgesondert und herausgegeben (Art. 37d BankG). Diese Absonderung ist jedoch umständlich oder gar schwer möglich, wenn die Bestände der Kunden nicht von den Eigenbeständen getrennt sind.
Die Verpflichtung zur Trennung von Eigen- und Kundenbeständen war im bisherigen Recht nur an der Spitze der Verwahrungspyramide für die Zentralverwahrer und ihre (direkten) Teilnehmer vorgesehen (Art. 69 und 73 FinfraG). Keine Verpflichtung bestand indessen bei längeren Verwahrungsketten für die auf die Erstverwahrungsstelle folgenden Verwahrungsstellen. Diese Lücken galt es zu schliessen. Die Regelung sollte somit auf die gesamte Verwahrungskette im Inland und auf das erste Glied im Ausland ausgedehnt werden.
Die Neuregelung im Bucheffektengesetz
Neu ins Bucheffektengesetz (BEG) eingefügt wurde Art. 11a BEG, welcher verlangt, dass eine Verwahrungsstelle verpflichtet ist, Eigen- und Drittbestände in ihren Büchern getrennt zu halten (Abs. 1). Hält die Verwahrungsstelle Eigen- und Drittbestände bei einer Drittverwahrungsstelle im Inland, so hat sie die Eigen- und die Drittbestände auf verschiedenen Effektenkonten zu halten. Drittverwahrungsstellen müssen den Verwahrungsstellen die Möglichkeit anbieten, Eigen- und Drittbestände auf verschiedenen Effektenkonten zu halten (Abs. 2).
Dabei genügt überall eine sogenannte "Omnibus-Kunden-Kontentrennung". Auf getrennte Konten verbucht werden müssen nur die Eigenbestände einerseits und die Kundenbestände andererseits. Ein Verbuchen der Bestände der einzelnen Kunden auf individuelle Konten wird nicht verlangt.
Eine unmittelbare Folge dieser Omnibus-Kunden-Kontentrennung ist, dass die Bestände der Kundinnen und Kunden nicht mehr für die Befriedigung von Verrechnungs- oder Aufrechnungsrechten und/oder Sicherungsrechten der Drittverwahrungsstelle gegenüber der Verwahrungsstelle herangezogen werden können. Diese Massnahme ist somit geeignet, den Schutz der Anleger zu stärken, die nach bisherigem Recht nicht vor den Folgen eines Unterbestandes geschützt gewesen waren. Darüber hinaus verbessert die Segregierung die Überschaubarkeit der Rechtsverhältnisse und dient im Fall des Konkurses der Verwahrungsstelle der Beschleunigung des Verfahrens.
Bei einer Verwahrung im Ausland muss die Schweizer Verwahrungsstelle neu mit der ersten ausländischen Drittverwahrungsstelle vereinbaren, dass diese die Eigen- und die Drittbestände auf verschiedenen Effektenkonten hält (Abs. 3). Ist eine Vereinbarung nach Absatz 3 nach dem Recht des betroffenen Staates oder aus operationellen Gründen nicht möglich, so trifft die Schweizer Verwahrungsstelle andere Massnahmen, die der Kontoinhaberin oder dem Kontoinhaber ein vergleichbares Mass an Schutz bieten (Abs. 4).
Diese Bestimmung dient dazu, bei einer Verwahrung im Ausland den Schweizer Anlegern einen vergleichbaren Schutz wie bei einer Drittverwahrung in der Schweiz zu bieten.
Schliesslich muss die Schweizer Verwahrungsstelle, die Drittbestände bei einer Drittverwahrungsstelle hält, den Anlegern vorgängig in standardisierter Weise in Papierform oder elektronisch Informationen über die Umsetzung dieser Schutzmassnahmen, die Risiken bei einer Verwahrung im Ausland und die damit verbundenen Kosten zur Verfügung stellen (Abs. 6).
Nächste Schritte
Gemäss den Erläuterungen des Bundesrats, welche anlässlich der Vernehmlassung zu den Anpassungen publiziert wurden, treffen die neuen Bestimmungen die Schweizer Banken in ganz unterschiedlichem Ausmass. Verschiedene, vor allem international tätige Banken, hatten bereits vorher eine konsequente Segregierung im Inland und bei der ersten Verwahrungsstelle im Ausland sichergestellt.
In der Tat finden sich analoge Bestimmungen seit längerem in internationalen Empfehlungen und Standards wie denen der ISOCO und im EU-Recht (Art. 38 CSDR; Art. 16 Abs. 8 MiFID II; Art. 2 Abs. 1 lit. d der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593 zur Durchführung von MiFID II). Institutionelle Kunden (wie Anlagefonds oder Pensionsfonds) aus der EU aber auch dem angelsächsischen Raum forderten deshalb schon früher eine durchgehend konsequente Trennung der Bestände auf vertraglicher Basis ein, wenn sie Schweizer Banken als Verwahrungsstellen beauftragen wollten.
Die neuen Bestimmungen führen somit nicht in allen Fällen zu einer tatsächlichen Umstellung der Verhältnisse. Aber auch Schweizer Depotbanken, welche die neuen Vorgaben bereits freiwillig bzw. auf Nachfrage ihrer Kunden umgesetzt haben, können davon profitieren, dass sich das Schweizer Recht an internationale Standards weiter angeglichen hat. Der Nachweis des Schutzes der Anlegerinteressen im Insolvenzfall wird auf diese Weise jedenfalls erleichtert.
Autor: Markus Winkler (Konsulent)
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