Bankensanierungssverfahren und Bail-in in der Schweiz | Pestalozzi Attorneys at Law

Bankensanierungssverfahren und Bail-in in der Schweiz

20.03.2023

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Key takeaways

  • Die FINMA verfügt über einen relativ grossen Ermessensspielraum beim Erlass von Sanierungsmassnahmen für Schweizer Banken.
  • Sanierungsmassnahmen können erhebliche Auswirkungen auf die Rechte von Gläubigern und Vertragspartnern haben, insbesondere im Falle systemrelevanter Banken.
  • Die Auswirkungen von Sanierungsmassnahmen oder Schutzmassnahmen auf die Vertragsverhältnisse hängen stark von den jeweils angeordneten Massnahmen ab und müssen im Einzelfall analysiert werden.

Einführung

Für Schweizer Banken gelten besondere Regeln für die Stabilisierung, Sanierung oder Liquidation. Im Falle einer Krise zielen die vom Schweizer Recht vorgesehenen Massnahmen in erster Linie auf die Stabilisierung der Bank und die Fortführung des Bankbetriebs ab. Insbesondere ein möglicher Ausfall von systemrelevanten Banken würde nicht nur die Interessen von Einlegern und Bankaktionären, sondern auch übergeordnete Interessen wie die Finanzstabilität berühren. Systemrelevante Funktionen sollen daher in erster Linie durch Sanierungsmassnahmen erhalten werden. Ein solches Sanierungsinstrument kann jedoch die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien der Bank beeinträchtigen.

Das vorliegende Legal Update bietet einen Überblick über das Schweizerische Sanierungsverfahren bei Banken und die Sanierungsinstrumente, die in der Schweiz für Banken zur Verfügung stehen. Dabei wird auch näher auf das Bail-in-Instrument eingegangen. Vereinzelt wird die Europäische Rechtslage erläutert.

Schutzmassnahmen

Das Schweizer Abwicklungssystem besteht aus mehreren Interventionsstufen der Schweizerischen Finanzmarktaufsichtsbehörde ("FINMA"). Besteht begründete Besorgnis, dass eine Bank überschuldet ist oder schwerwiegende Liquiditätsprobleme hat, kann die FINMA der Bank eine Frist ansetzen, in der die Bank die Einhaltung der Eigenkapitalvorschriften sicherstellen muss. Läuft eine solche Frist erfolglos ab, kann das Sanierungsverfahren mit den am wenigsten intensiven Schutzmassnahmen beginnen.

Während bestimmte Schutzmassnahmen ausschliesslich interne Tätigkeiten und Entscheidungsprozesse betreffen (z. B. die Erteilung von Anweisungen an die Leitungsorgane oder die Ernennung eines Untersuchungsbeauftragten), können andere unmittelbar die Rechte von Gläubigern oder Vertragspartnern berühren.

Mögliche Schutzmassnahmen, die sich auf die vertraglichen Rechte und Pflichten der Banken auswirken können, sind die folgenden:

  • Einschränkung der Geschäftstätigkeit der Bank (z.B. liquiditätswirksame Geschäfte);
  • Verbot für die Bank, Auszahlungen vorzunehmen, Zahlungen anzunehmen oder Transaktionen zu tätigen;
  • Schliessung der Bank (Verhinderung eines Bank-Runs);
  • Stundung und Fälligkeitsaufschub.

Je nach den konkreten Massnahmen der FINMA können bestimmte Massnahmen vertragliche Konsequenzen auslösen, so beispielsweise vorzeitige Beendigungsrechte. Aufgrund des weiten Ermessensspielraums der FINMA und der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der verschiedenen Massnahmen sind die tatsächlichen Auswirkungen auf die einzelnen Vertragsverhältnisse jedoch einer detaillierten Analyse der vertraglichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die auferlegten Massnahmen zu unterziehen.

Sanierungsmassnahmen im Allgemeinen

Erzielen Schutzmassnahmen nicht die angestrebte Wirkung, besteht aber noch eine begründete Aussicht, dass die Bank saniert oder einzelne Bankdienstleistungen weitergeführt werden können, kann die FINMA ein Sanierungsverfahren einleiten. Voraussetzung für ein Sanierungsverfahren ist ein Sanierungsplan, der die folgenden Instrumente oder Massnahmen enthalten kann:

  • Fortführung der individuellen Bankdienstleistungen;
  • Übertragung von Vermögenswerten der Bank oder Teilen davon auf andere juristische Personen oder auf eine Übergangsbank;
  • Zusammenschluss/Übernahme durch andere Unternehmen;
  • Änderung der Rechtsform der Bank;
  • Aufschub der Kündigung von Verträgen und der Ausübung von Kündigungsrechten um maximal zwei Tage;
  • Aufschub der Ausübung von Aufrechnungs-, Verwertungs- und Übertragungsrechten für maximal zwei Tage;
  • Verringerung des vorhandenen Eigenkapitals und Schaffung neuen Eigenkapitals, Umwandlung von Schulden in Eigenkapital und Verringerung von Forderungen (bail-in).

Es liegt im Ermessen der FINMA, ob sie es im Einzelfall als sinnvoll erachted, nur eine oder mehrere Massnahmen zusammen anzuordnen, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Sieht der Sanierungsplan jedoch Massnahmen vor, die in die Rechte der Gläubigerinnen und Gläubiger eingreifen, so setzt die FINMA den Gläubigerinnen und Gläubigern nach der Genehmigung des Plans eine Frist zur Ablehnung des Plans. Gläubiger, die zusammen mehr als die Hälfte der Forderungen dritter Klasse vertreten, können den Plan ablehnen; in diesem Fall muss die FINMA die Eröffnung des Konkurses anordnen.

Eine Ausnahme vom Ablehnungsrecht der Gläubiger wird für systemrelevante Banken gemacht. Die FINMA kann den Sanierungsplan von systemrelevanten Banken auch dann genehmigen, wenn er in Abweichung vom Verbot der Schlechterstellung der Gläubiger gewisse oder alle Gläubiger wirtschaftlich schlechter stellt, sofern sie angemessen entschädigt werden.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Richtlinie der Europäischen Union über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten ("BRRD") ähnliche Instrumente vorsieht. Insbesondere die Abtrennung von Vermögenswerten, der Verkauf von Geschäftsbereichen und das Instrument des Brückeninstituts sind ebenfalls in der BRRD vorgesehen und entsprechen im Wesentlichen den oben beschriebenen Massnahmen.

Das Bail-in-Tool im Besonderen

Ab dem 1. Januar 2023 wurden die Bestimmungen zum Bail-in in das Schweizerische Bankengesetz übernommen. Unter dem Begriff Bail-in werden im schweizerischen Recht die Herabsetzung von bestehendem und die Schaffung von neuem Eigenkapital, die Umwandlung von Schulden in Eigenkapital und die Reduktion von Forderungen verstanden. Im Folgenden geben wir einen detaillierteren Überblick über das Bail-in Instrument.

Vor der Umwandlung von Schulden in Eigenkapital muss das Kapital des Unternehmens vollständig herabgesetzt werden, was bedeutet, dass die bisherigen Aktionäre nicht mehr Eigentümer der Bank sind. Danach werden die Forderungen der Gläubiger in Eigenkapital umgewandelt, wodurch neue Aktien entstehen. Für ein Bail-in muss Fremdkapital so weit in Eigenkapital umgewandelt werden, als die Bank nach Abschluss der Sanierung den für die Weiterführung des Geschäftsbetriebs notwendigen Eigenkapitalbedarf voraussichtlich zweifelsfrei decken kann, wobei die FINMA es als denkbar erachtet, eine bewusst vorsichtige Rekapitalisierung (over bail-in) zu beschliessen, d.h. einen Sicherheitszuschlag auf den umzuwandelnden Fremdkapitalbetrag zu erheben.

Grundsätzlich unterliegt das gesamte Fremdkapital einem Bail-in, mit Ausnahme bestimmter privilegierter Forderungen, wie sie in den Privatkonkursgesetzen beschrieben sind (z. B. Gehälter von Arbeitnehmern), und bestimmter Forderungen, die im Bankengesetz ausdrücklich ausgeschlossen sind. Insbesondere sind die folgenden Forderungen sowohl von der Umwandlung als auch von der Herabsetzung im Rahmen des Bail-in-Instruments ausgeschlossen:

  • besicherte Forderungen: im Umfang ihrer Sicherstellung; und
  • verrechenbare Forderungen: im Umfang ihrer Verrechenbarkeit.

Diese Ausnahmen sind im Zusammenhang mit Finanzverträgen von besonderem Interesse. Insbesondere Derivatverträge enthalten regelmässig Aufrechnungsvereinbarungen (sog. Netting). Forderungen aus Derivaten (oder anderen Verträgen, die aufrechenbare Forderungen oder Netting Vereinbarungen enthalten) sind im Umfang ihrer Verrechenbarkeit vom Anwendungsbereich der Bail-in-Massnahmen ausgenommen, wenn der Gläubiger die Existenz und Höhe der Forderung plausibel nachweisen kann oder dies aus den Büchern der Bank ersichtlich ist. Führt das (Close-out)-Netting jedoch zu einem Überschuss oder bleiben Teile der Forderung unbesichert, können diese Beträge einem Bail-in unterworfen werden.

Darüber hinaus kann die FINMA auch Forderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen ausschliessen, soweit dies für die Weiterführung der Bank notwendig sind. Eine solche Notwendigkeit wird angenommen, wenn eine Leistung für die Weiterführung der Bank notwendig ist und nicht innert angemessener Frist ersetzt werden kann; und gleichzeitig der betreffende Leistungserbringer infolge des Bail-in seine zukünftigen Leistungen einstellen würde.

Im Vergleich zur europäischen Gesetzgebung sind die Ausnahmen vom Bail-in im Schweizer Recht eher begrenzt. Die BRRD räumt der zuständigen Abwicklungsbehörde einen Ermessensspielraum ein, um weitere Verbindlichkeiten vom Bail-in auszuschliessen oder teilweise auszuschliessen, wenn: a.) es nicht möglich ist, diese Verbindlichkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums umzuwandeln; b.) der Ausschluss notwendig ist, um die Kontinuität kritischer Funktionen zu gewährleisten; c.) das Bail-in zu einer weitreichenden Ansteckung führen könnte, die das Funktionieren der Finanzmärkte bedrohen und schwerwiegende Störungen in der Wirtschaft eines EU-Mitgliedstaates verursachen würde; oder d.) das Bail-in zu einer Wertvernichtung führen würde. Ein solcher Ermessensspielraum ist der FINMA gesetzlich nicht eingeräumt.

Grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit von Abwicklungsmassnahmen

Das Schweizer Recht sieht für Banken vor, dass neue Verträge oder Änderungen bestehender Verträge, die ausländischem Recht unterliegen oder eine ausländische Gerichtsbarkeit vorsehen, nur dann abgeschlossen werden, sofern die Gegenpartei einen Aufschub der Beendigung von Verträgen nach anerkennt.

Dieses Erfordernis ist beim Abschluss neuer oder bei der Änderung bestehender Verträge zu berücksichtigen. Damit soll vermieden werden, dass der Aufschub einer von der FINMA angeordneten Beendigung von Verträgen insbesondere dort, wo eine ausländische Rechtsordnung die Gültigkeit des Aufschubs verneinen könnte, dadurch behindert wird, dass die Anerkennung der Massnahme direkt in die Verträge aufgenommen wird. Dies könnte z.B. durch den Beitritt zum ISDA 2015 Universal Resolution Stay Protocol vom 4. November 2015 geschehen, das eine Änderung der Bedingungen von Verträgen, die unter das Protokoll fallen, erlaubt; dies würde durch ein Opting-in zu den Bestimmungen des Protokolls erreicht, um die Durchsetzbarkeit von Aussetzungen vertraglicher Kündigungsrechte, die von einer nationalen Behörde auf internationaler Ebene angeordnet wurden, sicherzustellen. Diese Anforderung ist von den Banken zu erfüllen, und zwar sowohl auf der Ebene des einzelnen Instituts als auch auf Gruppenebene. Daher müssen auch ausländische Konzerngesellschaften einer Schweizer Bank ihre Verträge entsprechend anpassen.

Die Schweizer Verpflichtungen beziehen sich jedoch auch auf aufgeschobene Kündigungsrechte und erfassen nicht alle möglichen Sanierungsmassnahmen. Das Financial Stability Board (FSB) fördert einen Ansatz der vertraglichen Anerkennung, um die grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Abwicklungsmassnahmen zu erleichtern. Demnach sollten Finanzkontrakte rechtlich durchsetzbare Vertragsbestimmungen enthalten, die die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten durch die zuständige Abwicklungsbehörde anerkennen. In Bezug auf das Bail-in-Instrument hat die EU diesen Ansatz im BRRD umgesetzt.

Die Schweizer Regelung des Bail-in sieht jedoch keine entsprechenden Bestimmungen vor. Daher sind die Banken rechtlich nicht verpflichtet, eine Klausel in ihre Verträge aufzunehmen, mit der die Gläubigerpartei nicht nur anerkennt, dass Verbindlichkeiten umgewandelt oder abgeschrieben werden können, sondern auch zustimmt, an eine solche Massnahme gebunden zu sein, wenn die zuständige Abwicklungsbehörde dies anordnet. Ohne eine solche Klausel in den von Schweizer Banken abgeschlossenen Verträgen und in Ermangelung eines internationalen Abkommens, das die grenzüberschreitende Anerkennung von Abwicklungsmaßnahmen sicherstellt, gibt es keine Garantie dafür, dass ein von der FINMA angeordnetes Bail-in in Bezug auf Verträge, die ausländischem Recht oder ausländischer Gerichtsbarkeit unterliegen, wirksam sein wird.

Nächste Schritte

Vertragsbeziehungen mit Banken, die sich in kritischen Zeiten befinden könnten, sollten überwacht und überprüft werden, um in einem ersten Schritt potenziell gefährdete Forderungen zu ermitteln. Das Ausmass der Anwendbarkeit und die möglichen Auswirkungen potenzieller Sanierungsmassnahmen auf die Vertragsbeziehungen und die potenziellen Folgen sollten für jeden einzelnen Vertrag bestimmt werden (z. B. vorzeitige Beendigung von Verträgen, Aufrechnungsvereinbarungen mit Derivatgeschäften und Wertpapierleihverträgen oder die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Benachrichtigung der säumigen Partei). Anschliessend sollten die Verlustrisiken bewertet und mögliche Massnahmen einschliesslich der Ausübung von (vorzeitigen) Kündigungsrechten, festgelegt und gegebenenfalls zu gegebener Zeit ergriffen werden.

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Autorin: Niku Gholamalizadeh (Associate)

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