Aktienrechtsrevision: Zwischendividenden, Erwerb eigener Aktien, Rückerstattung von Leistungen und Reserven
Dieses Legal Update ist Teil einer Reihe, mit welcher die für Praktiker relevanten Änderungen zum Aktienrecht in kondensierter Form dargestellt werden. Bereits publizierte Legal Updates finden Sie auf unserer Website unter Aktienrechtsrevision 2020. Neue Legal Updates zum Thema Aktienrechtsreform werden regelmässig an unsere Newsletter-Subscriber verschickt und auf unserer Website publiziert.
Übersicht
Mit dem revidiertem Aktienrecht treten auch die nachfolgenden Neuerungen in Kraft:
- Die Generalversammlung hat neu die Möglichkeit, auf Basis eines Zwischenabschlusses, der grundsätzlich geprüft sein muss, eine Zwischendividende zu beschliessen.
- Der Erwerb eigener Aktien bleibt grundsätzlich auf 10% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals beschränkt. Die höhere Grenze von 20% gilt weiterhin bei einem Erwerb im Zusammenhang mit Übertragbarkeitsbeschränkungen und neu auch bei einem Erwerb im Zusammenhang mit dem Abwenden einer Auflösungsklage.
- Der Anwendungsbereich der Rückerstattungsklage wird erweitert, indem neu auch Mitglieder der Geschäftsführung belangt und weitere Leistungen wie z.B. auch Vergütungen zurückgefordert werden können.
- Die Bestimmungen über die Reservezuweisung und -verwendung werden massgeblich angepasst.
Gesetzliche Regelung zur Ausschüttung von Zwischendividenden
In der Praxis stellte sich immer wieder die Frage, ob und inwiefern Gesellschaften Ausschüttungen von Erträgen aus dem laufenden Geschäftsjahr an die Aktionäre beschliessen können (sog. echte Zwischendividende). Obwohl bislang eine Ausschüttung von Zwischendividenden gesetzlich nicht vorgesehen war, hat sich bereits unter dem bisherigen Recht eine – in der Lehre allerdings umstrittene – Praxis entwickelt, welche unterjährige Ausschüttungen an die Aktionäre ermöglicht. Mit der Aktienrechtsrevision wird die Ausschüttung von Zwischendividenden nun ausdrücklich erlaubt, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Neu hat die Generalversammlung gemäss Art. 675a nOR die unübertragbare Befugnis, gestützt auf einen geprüften Zwischenabschluss die Ausschüttung einer Zwischendividende zu beschliessen. Die Pflicht zur Prüfung des Zwischenabschlusses entfällt hingegen, wenn die Gesellschaft ihre Jahresrechnung nicht durch eine Revisionsstelle eingeschränkt prüfen muss, d.h. falls die Aktionäre ein Opting-out beschlossen haben; ebenso besteht keine Prüfungspflicht, wenn sämtliche Aktionäre der Ausschüttung der Zwischendividende zustimmen und durch die Ausschüttung keine Gläubigerforderungen gefährdet werden (dies gilt auch für Gesellschaften, welche der ordentlichen Revision unterstehen bzw. kein Opting-out beschlossen haben).
Die Anforderungen an einen Zwischenabschluss werden neu in Art. 960f nOR geregelt. Dieser muss nach den Vorschriften zur Jahresrechnung erstellt werden, also eine Bilanz, eine Erfolgsrechnung und einen Anhang enthalten. Zulässig sind jedoch Vereinfachungen oder Verkürzungen, sofern dies die Darstellung des Geschäftsgangs nicht beeinträchtigt.
Wird der Zwischenabschluss nicht geprüft, obwohl kein Opting-out besteht oder obwohl nicht alle Aktionäre der Zwischendividende zugestimmt haben, so ist der Beschluss der Generalversammlung über die Ausschüttung der Zwischendividende gemäss Art. 731 OR nichtig; die zu Unrecht bezogenen Ausschüttungen unterliegen dann gemäss Art. 678 nOR der Rückerstattung.
Erwerb eigener Aktien
In Art. 659 nOR wird für den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft weiterhin vorausgesetzt, dass genügend frei verwendbares Eigenkapital in der Höhe der für den betreffenden Erwerb benötigen Mittel vorhanden ist, und dass der Gesamtnennwert der von der Gesellschaft gehaltenen eigenen Aktien grundsätzlich 10% des Aktienkapitals nicht übersteigt. Das neue Recht präzisiert, dass der Prozentsatz gestützt auf das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital zu berechnen ist.
Bereits unter dem bisherigen Recht kann die Gesellschaft eigene Aktien im Umfang bis zu 20% des Aktienkapitals erwerben, wenn dies im Zusammenhang mit einer Übertragbarkeitsbeschränkung (Vinkulierung) steht, d.h. wenn die Gesellschaft einem Erwerber die Eintragung in das Aktienbuch verweigert und die betreffenden Aktien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwirbt.
Neu ist die höhere Grenze von 20% des Aktienkapitals auch bei einem Erwerb im Zusammenhang mit dem Erwerb zur Abwendung einer Auflösungsklage anwendbar. Dies erlaubt es der Gesellschaft, im Fall einer Auflösungsklage die Aktien der Auflösungskläger zu erwerben (bis zu max. 20% des Aktienkapitals) und dadurch ihre Auflösung abzuwenden.
Die Pflicht, die über die Grenze von 10% des Aktienkapitals hinaus erworbenen Aktien innert zwei Jahre zu veräussern oder durch Kapitalherabsetzung zu vernichten, besteht auch weiterhin und unabhängig davon, in welchem Zusammenhang diese Aktien erworben wurden.
Wie bis anhin ruht für die eigenen Aktien das Stimmrecht sowie alle anderen damit verbundenen Rechte. Neu gilt dies auch dann, wenn die Gesellschaft eigene Aktien überträgt und die Rücknahme oder die Rückgabe der Aktien vereinbart wird, wie zum Beispiel bei Effektenleihen. Für den Fall, dass das Stimmrecht an eigenen Aktien ausgeübt wird, obwohl dieses ruht, wird nun explizit auf die Bestimmungen über die unbefugte Teilnahme an der Generalversammlung verwiesen.
Für Konzernverhältnisse wird neu in Art. 659b nOR auf den Konzernbegriff in Art. 963 OR verwiesen. Damit wird klargestellt, dass alle Einschränkungen und Folgen des Erwerbs eigener Aktien für sämtliche Unternehmen gelten, welche gemäss Art. 963 Abs. 2 OR von der Gesellschaft kontrolliert werden.
Rückerstattung von Leistungen: Erweiterung des Anwendungsbereichs und Anpassung an das neue Verjährungsrecht
Werden Leistungen wie Dividenden, Tantiemen, andere Gewinnanteile, etc. ungerechtfertigt bezogen, so können die Gesellschaft und jeder Aktionär gemäss Art. 678 nOR auf deren Rückerstattung an die Gesellschaft klagen. Um ungerechtfertigte Vermögensverlagerungen effektiver zu verhindern und zur Stärkung des Kapitalschutzes wird mit der Aktienrechtsrevision der Anwendungsbereich der Rückerstattungsklage gemäss Art. 678 OR erweitert.
Erstens wird der Kreis der rückerstattungspflichtigen Personen vergrössert; nebst den Aktionären, Mitgliedern des Verwaltungsrates sowie diesen nahen stehenden Personen gehören neu auch die mit der Geschäftsführung befassten Personen und die Mitglieder des Beirats sowie ihnen nahestehende Personen dazu. Zweitens werden nicht nur wie bisher Dividenden, Tantiemen, Gewinnanteile und Bauzinsen erfasst, sondern neu auch Vergütungen, Leistungen aus gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven und andere Leistungen.
Die bisherige Voraussetzung für die Rückerstattung, dass die Leistung ungerechtfertigt und in bösem Glauben bezogen worden sein muss, wird relativiert. Neu ist jede ungerechtfertigte Leistung seitens der Gesellschaft an den bezeichneten Personenkreis prinzipiell rückerstattungspflichtig. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung in gutem Glauben erfolgte. Für die Bestimmung des Umfangs der Rückerstattung verweist das Gesetz neu ausdrücklich auf Art. 64 OR (ungerechtfertigte Bereicherung); die Rückerstattung kann dementsprechend nicht gefordert werden, wenn der (gutgläubige) Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist.
Die Pflicht zur Rückerstattung von Leistungen besteht auch dann, wenn die Gesellschaft von obengenannten Personen Vermögenswerte übernimmt oder Rechtsgeschäfte mit diesen abschliesst, bei welchen ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Diese Neuerung hängt damit zusammen, dass im Zuge dieser Aktienrechtsrevision die Bestimmungen zur (beabsichtigen) Sachübernahme gestrichen werden (siehe dazu unser Legal Update zum Aktienkapital Teil 1). Dementsprechend wird bei Transaktionen, die nach bisherigem Recht als (beabsichtigte) Sachübernahmen qualifizieren, trotz Abschaffung der Sachübernahmevorschriften nach wie vor Vorsicht geboten sein.
Wenn die Gesellschaft auf Rückerstattung klagt, erfolgt dies normalerweise durch deren Vertreter, meist gestützt auf einen entsprechenden Beschluss des Verwaltungsrats. Das neue Recht hält ausdrücklich fest, dass auch die Generalversammlung beschliessen kann, dass die Gesellschaft die Klage auf Rückerstattung erheben muss. Die Beschlussfassung durch die Generalversammlung wird vor allem dann wichtig, wenn sich die Klage gegen Mitglieder des Verwaltungsrats richten soll; zudem können die Aktionäre auf diesem Weg die Gesellschaft zur Prozesseinleitung veranlassen und so auch das Prozesskostenrisiko auf die Gesellschaft überwälzen.
Mit dem neuen Art. 678a nOR wird die Verjährung des Rückerstattungsanspruches an das revidierte Verjährungsrecht angepasst. Der Anspruch auf Rückerstattung verjährt zukünftig schon mit Ablauf von drei Jahren, nachdem die Gesellschaft, oder der Aktionär von der rückerstattungspflichtigen Leistung Kenntnis erhalten hat (relative Verjährungsfrist), in jedem Fall aber zehn Jahre nach Entstehung des Anspruches (absolute Verjährungsfrist). Wird während der Verjährungsfrist eine Sonderuntersuchung angeordnet und durchgeführt, so steht die Verjährungsfrist währenddessen still. Schliesslich verjährt der Rückerstattungsanspruch frühestens mit Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung, sofern der Empfänger durch sein Verhalten auch eine strafbare Handlung begangen hat.
Anpassungen der Reservebestimmungen an das Rechnungslegungsrecht
Im Zuge der Revision werden die Vorschriften betreffend die Reserven vereinfacht. Neu werden die (allgemeinen und statutarischen) Reserven, analog zum Rechnungslegungsrecht, in gesetzliche Kapitalreserve, gesetzliche Gewinnreserve und freiwillige Gewinnreserve eingeteilt.
Der gesetzlichen Kapitalreserve (wie bisher der allgemeinen gesetzlichen Reserve) zuzuweisen sind der Erlös, welcher bei der Ausgabe von Aktien über den Nennwert und die Ausgabekosten hinaus erzielt wird (Agio), sowie die zurückbehaltenen Einzahlungen auf ausgefallene Aktien, soweit für die dafür neu ausgegebenen Aktien kein Mindererlös erzielt wird. Neu wird explizit festgehalten, dass auch weitere durch Inhaber von Beteiligungspapieren geleistete Einlagen und Zuschüsse der gesetzlichen Kapitalreserve zuzuweisen sind (Art. 671 Abs. 1 nOR).
Das bisherige Recht besagt in Art. 671 Abs. 3 OR, dass die allgemeine gesetzliche Reserve "soweit sie die Hälfte des Aktienkapitals nicht übersteigt, nur für Massnahmen zur Weiterführung des Unternehmens bei schlechtem Geschäftsgang sowie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Milderung ihrer Folgen verwendet werden kann". Diese Bestimmung wird vereinfacht; Art. 671 Abs. 2 nOR hält einzig fest, dass die gesetzliche Kapitalreserve nur an die Aktionäre zurückbezahlt werden darf, wenn die gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven, abzüglich des Betrags allfälliger Verluste, die Hälfte (bzw. 20 Prozent bei Holdinggesellschaften) des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals übersteigen. In diesem Zusammenhang wird neu explizit festgehalten, dass die gesetzliche Gewinnreserve für eigene Aktien im Konzern (Art. 659b nOR) und die gesetzliche Gewinnreserve aus Aufwertungen (Art. 725c nOR) bei der Berechnung dieser Grenzwerte nicht berücksichtigt werden dürfen. In Art. 671 nOR nicht mehr enthalten sind darüberhinausgehende Vorschriften zur Verwendung der gesetzlichen Reserven; diese sind neu in Art. 674 nOR enthalten (siehe unten, letzter Absatz).
Der gesetzlichen Gewinnreserve (wie bisher ebenfalls der allgemeinen gesetzlichen Reserve) zuzuweisen sind 5 Prozent des Jahresgewinns, wobei in Art. 672 nOR neu explizit festgehalten wird, dass ein allfälliger Verlustvortrag vor Zuweisung an die gesetzliche Gewinnreserve zu beseitigen ist. Anders als unter geltendem Recht, sind die Zuweisungen an die gesetzliche Gewinnreserve allerdings solange vorzunehmen, bis diese zusammen mit der gesetzlichen Kapitalreserve die Hälfte (bzw. 20 Prozent bei Holdinggesellschaften) des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals erreicht (unter geltendem Recht sind die Zuweisungen an die allgemeine gesetzliche Reserve vorzunehmen bis diese 20 Prozent des einbezahlten Aktienkapitals erreicht). Hingegen entfällt die unter bisherigen Recht vorgesehene zweite Zuweisung an die allgemeine gesetzliche Reserve von 10 Prozent der Beträge, die nach Bezahlung einer Dividende von 5 Prozent als Gewinnanteil ausgerichtet werden.
Statutarische Reserven bzw. neu sogenannte freiwillige Gewinnreserven dürfen gemäss Art. 673 nOR nur noch gebildet werden, wenn das dauernde Gedeihen des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen aller Aktionäre dies rechtfertigt. Zudem wird neu explizit festgehalten, dass die Generalversammlung, unter Vorbehalt der Vorschriften über die Verrechnung mit Verlusten, über die Verwendung der freiwilligen Gewinnreserven entscheidet.
Die bisherige Reserve zu Wiederbeschaffungszwecken (Art. 674 Abs. 2 Ziff. 2 OR) sowie die bisherigen Bestimmungen betreffend die Bildung von Reserven zu Wohlfahrtszwecken (Art. 673 und 674 Abs. 3 OR) werden abgeschafft bzw. aufgehoben. Weiter werden die Regelungen betreffend die Aufwertungsreserve (Art. 725c nOR) zu den Bestimmungen betreffend drohende Zahlungsunfähigkeit, Kapitalverlust und Überschuldung (Art. 725 ff. nOR) verschoben.
In welcher Reihenfolge Verluste verrechnet werden müssen, wird neu in Art. 674 nOR explizit wie folgt geregelt: Verluste werden zuerst mit dem Gewinnvortrag verrechnet, anschliessend mit der freiwilligen Gewinnreserve, dann mit der gesetzlichen Gewinnreserve und schliesslich mit der gesetzlichen Kapitalreserve. Verluste, welche den zu verrechnenden Gewinnvortrag und die zu verrechnende freiwillige Gewinnreserve übersteigen, müssen jedoch nicht zwingend mit der gesetzlichen Gewinnreserve oder der gesetzlichen Kapitalreserve verrechnet werden, sondern dürfen stattdessen auch weiterhin teilweise oder ganz auf die neue Jahresrechnung vorgetragen werden. Zwingend ist hinsichtlich der gesetzlichen Gewinnreserve und der gesetzlichen Kapitalreserve somit nicht die Verlustverrechnung als solche, sondern einzig die aufgezeigte Reihenfolge.
Inkrafttreten und Handlungsbedarf
Nach Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision am 1. Januar 2023 beginnt die Übergangsfrist von zwei Jahren zur Anpassung der Statuten und Reglemente an das neue Recht. Nach Ablauf dieser Frist treten nicht mit dem neuen Recht vereinbare Statutenbestimmungen automatisch ausser Kraft.
Dementsprechend sollten die Statuten und Reglemente auf entsprechende (nicht mit dem neuen Recht vereinbare) Bestimmungen geprüft und nötigenfalls angepasst werden. Nicht gesetzeskonforme Bestimmungen in Statuten und Reglementen bleiben längstens bis Anfang 2025 in Kraft.
Darüber hinaus sollten sich Verwaltungsräte, Führungskräfte und Rechtsdienste mit den Neuerungen auseinandersetzen, um einzuschätzen, ob sie von den diversen Neuerungen und Erleichterungen Gebrauch machen und/oder diese den Aktionären der Gesellschaft empfehlen wollen.
Autoren: Severin Roelli (Partner), Franz J. Kessler (Partner), Florian Schnyder (Senior Associate), Mercedes Chiabotti (Associate) und Catherine Hoerr (Associate)
Keine Rechts- oder Steuerberatung
Dieses Legal Update gibt einen allgemeinen Überblick über die Rechtslage in der Schweiz und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es stellt keine Rechts- oder Steuerberatung dar. Falls Sie Fragen zu diesem Legal Update haben oder Rechtsberatung hinsichtlich Ihrer Situation benötigen, wenden Sie sich bitte an Ihren Ansprechpartner bei Pestalozzi Rechtsanwälte AG oder an eine der in diesem Legal Update erwähnten Kontaktpersonen.
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