Aktienrechtsrevision: Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Revisionsstelle
Dieses Legal Update ist Teil einer Reihe, mit welcher die für Praktiker relevanten Änderungen zum Aktienrecht in kondensierter Form dargestellt werden. Bereits publizierte Legal Updates finden Sie auf unserer Website unter Aktienrechtsrevision 2020. Neue Legal Updates zum Thema Aktienrechtsreform werden regelmässig an unsere Newsletter-Subscriber verschickt und auf unserer Website publiziert.
Übersicht
Neben der Überführung der Vergütungsbestimmungen ins Obligationenrecht (Legal Update zur VegüV) und den Regeln zu Geschlechterrichtwerten (erstes Legal Update der Reihe zur Aktienrechtsrevision) bringt die Aktienrechtsrevision für den Verwaltungsrat noch einige weitere Änderungen und Präzisierungen der heute bereits geltenden Bestimmungen.
- Zukünftig werden Verwaltungsratsmitglieder auch in nicht börsenkotierten Aktiengesellschaften grundsätzlich einzeln gewählt und der Verwaltungsrat muss keinen Sekretär mehr ernennen.
- Zur Delegation der Geschäftsführung an die Geschäftsleitung wird keine statutarische Ermächtigung mehr nötig sein.
- Die Beschlussfassung des Verwaltungsrats gestaltet sich analog der elektronischen Generalversammlung flexibler, für den elektronischen Zirkularbeschluss entfällt das Unterschriftserfordernis.
- Die Verwaltungsratspflichten bei Interessenkonflikten werden normiert.
- Auch Sanierungspflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit werden normiert und die Berechnung des hälftigen Kapitalverlusts unternehmensfreundlicher gestaltet.
- Bei Überschuldung wird eine neue Maximalfrist zur Konkursbenachrichtigung eingeführt und der Konkursaufschub abgeschafft.
- Änderungen bei der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit stehen bei der Berechnung des Gesellschaftsschadens im Konkurs und bei den Fristen an, hingegen wird die Revisionsstelle weiterhin solidarisch haftbar bleiben.
Einleitung
Das Inkrafttreten der am 19. Juni 2020 verabschiedeten Aktienrechtsrevision ist gemäss gegenwärtiger Einschätzung des Bundesamtes für Justiz erst im Jahr 2023 zu erwarten. Die Aktienrechtsrevision bringt insbesondere für den Verwaltungsrat einige Änderungen und Präzisierungen der heute bereits geltenden Bestimmungen. Die nachfolgende Zusammenfassung soll dazu einen Überblick verschaffen.
Wahl und Organisation von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung
Einzelwahl der Verwaltungsratsmitglieder auch in nicht börsenkotierten Aktiengesellschaften
Bereits heute werden Verwaltungsratsmitglieder von Publikumsgesellschaften aufgrund der Bestimmungen der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) einzeln gewählt.
Nach Übernahme der Bestimmungen der VegüV ins Obligationenrecht im Zuge der Aktienrechtsrevision (dazu unser Legal Update zur VegüV) soll diese Regel neu grundsätzlich auch für nicht börsenkotierte Aktiengesellschaften gelten. Um kleineren Gesellschaften keine übermässigen Compliance-Bürden aufzuerlegen, können die Statuten allerdings eine anderslautende Bestimmung vorsehen. Alternativ kann auch der Vorsitzende der Generalversammlung mit Zustimmung aller vertretenen Aktionäre die Gesamtwahl der Verwaltungsratsmitglieder anordnen.
Sekretär des Verwaltungsrats nicht mehr erforderlich
Aufgrund veränderter Bedürfnisse in der Praxis werden im zukünftigen Aktienrecht die Bestimmungen zum Verwaltungsratssekretär gestrichen. Entsprechend muss der Verwaltungsrat in Zukunft keinen Sekretär mehr ernennen, sofern dazu kein Bedarf besteht. Die Protokolle der Verwaltungsratssitzungen sind dementsprechend künftig nicht mehr vom Sekretär, sondern vom jeweiligen Protokollführer zu unterzeichnen.
Keine statutarische Ermächtigung zur Delegation der Geschäftsführung an die Geschäftsleitung mehr nötig
Im geltenden Recht braucht der Verwaltungsrat zur Delegation der Geschäftsführung an die Geschäftsleitung nach Massgabe eines Organisationsreglements eine statutarische Ermächtigung. Hier wird der Handlungsspielraum des Verwaltungsrats in Zukunft gestärkt, indem dieses Erfordernis entfällt. Der Verwaltungsrat ist deshalb zukünftig auch ohne eine entsprechende statutarische Ermächtigung zum Erlass eines Organisationsreglements befugt, in dem die Geschäftsführung an die Geschäftsleitung delegiert wird.
Entgegen der geltenden Rechtslage müssten daher in Zukunft die Statuten einen Vorbehalt enthalten, der dem Verwaltungsrat die entsprechende Befugnis entzieht und den Aktionären die Delegationskompetenz zukommen lässt, sofern über die Delegation der Geschäftsführung weiterhin die Aktionäre entscheiden können sollen.
Beschlussfassung des Verwaltungsrats
Elektronische und virtuelle Verwaltungsratssitzungen
Die Anforderungen an Verwaltungsratssitzungen werden flexibilisiert. In Analogie zu den neuen Bestimmungen über die Generalversammlung können Verwaltungsratssitzungen künftig elektronisch oder virtuell durchgeführt werden. Diesbezüglich verweisen wir auf unser Legal Update zur Generalversammlung.
Keine Unterschrift mehr nötig bei elektronischen Zirkularbeschlüssen
Für elektronische Zirkularbeschlüsse bestimmt die Aktienrechtsrevision zudem explizit, dass zur Beschlussfassung keine Unterschrift notwendig ist. Die Beschlussfassung sollte also in Zukunft auch per E-Mail (ohne gescannte Unterschriften) oder per Chat möglich sein.
Ist eine derart informelle Beschlussfassung nicht gewünscht, kann der Verwaltungsrat schriftlich (aber nicht zwingend in einem Organisationsreglement) festlegen, dass Zirkularbeschlüsse weiterhin nur mit Unterschrift der Verwaltungsratsmitglieder zustande kommen.
Interessenkonflikte des Verwaltungsrats
Neu wird mit Art. 717a revOR eine Bestimmung zur umfassenden Informationspflicht an den Verwaltungsrat bei Interessenkonflikten von Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungsmitgliedern eingeführt. Der Interessenkonflikt löst im Verwaltungsrat eine Pflicht zum Ergreifen der "zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft nötig[en]" Massnahmen aus, was nicht zwingend zum Ausstand der sich im Konflikt befindenden Person führen muss. Damit wird im Wesentlichen die bereits heute geltende Praxis zu Interessenkonflikten ins Aktienrecht aufgenommen.
Sanierungspflichten
Normierung der Pflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit
Auch allfällige Sanierungspflichten des Verwaltungsrats im Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft werden in Art. 725 revOR neu normiert, wobei es sich wiederum eher um eine Normierung der heute bereits geltenden Praxis als um die Schaffung neuer Pflichten handelt:
Der Verwaltungsrat hat die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu überwachen. Im Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit hat er mit der gebotenen Eile sicherstellende Massnahmen zu ergreifen. Darüberhinausgehende Sanierungsmassnahmen müssen der Generalversammlung nur soweit nötig unterbreitet werden, z.B. Kapitalerhöhungen. Zusätzlich weist der Gesetzgeber explizit auf die Möglichkeit der Nachlassstundung hin.
Es bleibt insbesondere anzumerken, dass die Aktienrechtsrevision keine Pflicht zur Erstellung eines Liquiditätsplans bringen wird, obwohl dies im Gesetzgebungsprozess zunächst vorgesehen war.
Nur nicht ausschüttbare gesetzliche Reserven relevant für die Berechnung des hälftigen Kapitalverlusts
Die Sperrziffer des hälftigen Kapitalverlusts wird sich in Zukunft unternehmensfreundlicher gestalten, was insbesondere Wachstumsunternehmen entlasten dürfte. Nach Art. 725a revOR gilt als hälftiger Kapitalverlust in Zukunft, wenn bei der letzten Jahresrechnung die Hälfte von Aktien(- und Partizipations)kapital und den nicht ausschüttbaren gesetzlichen Reserven ungedeckt ist. Anders als im geltenden Recht wird künftig klar sein, dass für die Berechnung anstelle der gesamten gesetzlichen Reserven nur die nicht ausschüttbaren gesetzlichen Reserven berücksichtigt werden müssen (50% oder bei Holdinggesellschaften 20% des Aktien(- und Partizipations)kapitals).
Pflicht zur eingeschränkten Revision bei hälftigem Kapitalverlust
Eine Gesellschaft mit Opting-out (also ohne Revisionsstelle), die einen hälftigen Kapitalverlust aufweist, wird in Zukunft ihre letzte Jahresrechnung zwingend der eingeschränkten Revision unterziehen müssen.
90-tägige Maximalfrist bis zur Überschuldungsanzeige
Die Definition der Überschuldung bleibt durch die Aktienrechtsrevision unverändert (Art. 725b revOR). Allerdings muss künftig der Zwischenabschluss bei Überschuldung im Gegensatz zu heute nur entweder zu Fortführungs- oder zu Veräusserungswerten erstellt werden, wenn die Vermutung der Fortführung gegeben oder nicht gegeben ist.
Zu beachten ist darüber hinaus, dass in Zukunft die Überschuldungsanzeige durch Rangrücktritt nur abgewendet werden kann, wenn der Gläubiger nicht nur die Darlehensschuld sondern auch die verfallenen und zukünftigen Zinsen subordiniert. Die Überschuldungsanzeige beim Gericht muss spätestens 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse erfolgen. Dies im Gegenteil zur geltenden Praxis, in der noch auf den Einzelfall Rücksicht genommen wird. Auch in Zukunft darf die Anzeige nur aufgeschoben werden, sofern die Gläubiger durch eine Verminderung des Haftungssubstrats nicht zusätzlich gefährdet werden.
Konkursaufschub abgeschafft
Das Instrument des Konkursaufschubs wird durch die Aktienrechtsrevision gänzlich abgeschafft. Anstelle dessen sollen überschuldete Gesellschaften in Zukunft beim Nachlassgericht Nachlassstundung beantragen (Art. 293 ff. Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz). Schon seit dem 20. Oktober 2020 besteht die Möglichkeit einer viermonatigen Verlängerung der provisorischen Nachlassstundung. Damit kann die provisorische Nachlassstundung, die auch still gewährt werden kann, bereits heute insgesamt acht Monate andauern.
Abberufung der Revisionsstelle: nur noch wichtige Gründe
Die Minderheitsaktionäre werden künftig in Bezug auf die Möglichkeit zur Abberufung der Revisionsstelle gestärkt. Im Gegensatz zum heutigen Recht darf die Generalversammlung die Revisionsstelle nur noch aus wichtigen Gründen abberufen, die im Anhang zur Jahresrechnung offenzulegen sind.
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit
Rangrücktrittsforderungen zählen nicht mehr zum Gesellschaftsschaden im Konkurs
Im Gegensatz zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts hat der Gesetzgeber entschieden, dass in Zukunft zum Gesellschaftsschaden im Konkurs bei einer Verantwortlichkeitsklage subordinierte Forderungen nicht mehr hinzugerechnet werden. Dies mit der Begründung, dass das Bestreben des Verwaltungsrates, die Subordination von Forderungen zu erwirken, kein Fehlverhalten darstellt. Dadurch soll der Verwaltungsrat dazu ermuntert werden, den Rangrücktritt von Gläubigern bei Überschuldung der Gesellschaft aktiver zu suchen.
Angepasste Verjährungsfrist und Klagerecht nach Décharge-Erteilung
Auch die Fristen im Zusammenhang mit Verantwortlichkeitsklagen werden angepasst:
Die relative Verjährungsfrist der Verantwortlichkeitsklage verkürzt sich von fünf Jahren auf drei Jahre, während die absolute Verjährungsfrist bei zehn Jahren bleibt. Die Verjährungsfrist wird in Zukunft während der Dauer der Sonderuntersuchung (im geltenden Recht die "Sonderprüfung", zu den entsprechenden Neuerungen vgl. das Legal Update zu persönlichen Mitgliedschaftsrechten) stillstehen. Das Klagerecht nach Erteilung der Décharge derjenigen Aktionäre, die dem Déchargebeschluss nicht zugestimmt haben, verlängert sich von sechs Monaten auf zwölf Monate. Auch diese Frist steht während einer allfälligen Sonderuntersuchung still.
Weiterhin solidarische Haftung der Revisionsstelle
Während des langjährigen Gesetzgebungsprozesses hat die Wirtschaftsprüfungsbranche versucht, die Revisionshaftung zu reduzieren. Dazu wird es im Zuge der Aktienrechtsrevision nun aber nicht kommen. Die Revisionsstelle haftet folglich auch künftig differenziert solidarisch mit dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung.
Handlungsbedarf
Je nach Bedürfnis der Gesellschaft könnten die anstehenden Gesetzesänderungen eine Anpassung der Statuten erfordern. Dies gilt insbesondere, falls der Verwaltungsrat auch in Zukunft an der Generalversammlung mittels Gesamtwahl gewählt werden soll; ebenso falls der Verwaltungsrat in seiner Kompetenz zur Delegation der Geschäftsführung an die Geschäftsleitung eingeschränkt werden soll.
Falls nicht bereits geschehen, bietet sich anlässlich der Aktienrechtsrevision an, Ausführungsbestimmungen zu den Pflichten des Verwaltungsrats bei Interessenkonflikten und zur Finanzplanung ins Organisationsreglement aufzunehmen. Darüber hinaus sollten die Bestimmungen des Organisationsreglements zum Ablauf der Verwaltungsratssitzungen überprüft und falls gewünscht den flexibleren Gesetzesbestimmungen angepasst werden.
Um den Anforderungen von Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 revOR zu genügen, sollten schliesslich auch bestehende Rangrücktrittsvereinbarungen angepasst werden, sofern darin bislang kein Rangrücktritt für zukünftige Zinsen vorgesehen ist.
Autoren: Dr. Jakob Höhn (Partner), Myrtha Talirz (Junior Associate)
Keine Rechts- oder Steuerberatung
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